Brendan G. Carroll: Erich Wolfgang Korngold. Das letzte Wunderkind [Andreas Vollberg]

Carroll, Brendan G.: Erich Wolfgang Korngold. Das letzte Wunderkind. / Aus dem Engl. übersetzt von Gerold Gruber. – Wien [u.a.]: Böhlau, 2012. – 480 S.: s/w-Abb. (exil.arte-Schriften ; 1)
ISBN 978-3-205-77716-8 : € 39,00 (geb.)

Nicht weniger als 35 Jahre investierte der britische Musikologe Brendan G. Carroll in die Biographie seines seit Jugendzeiten favorisierten Filmmusikidols Erich Wolfgang Korngold (1897-1957). 1997 – allein 14 Jahre nach Gründung der von ihm bis heute präsidierten Korngold Society – erschien das voluminöse Elaborat zunächst auf Englisch, wurde dann für 2008 in deutscher Übersetzung avisiert. Diese aber ließ bis Herbst 2012 auf sich warten. Fast fürchtete man deutscherseits, die früh nach vorn gepreschte Pionierarbeit könne 2008 durch Guy Wagners Monographie oder den von Arne Stollberg herausgegebenen Symposiumsband rechts überholt werden (französisch sekundiert durch Nicolas Dernys L’itinéraire d’un enfant prodige, Editions Papillon). Zumindest in kompilatorischer Vielfalt und Signifikanz der ausgewerteten Materialien, seien es Briefnachlässe, Pressezitate, Covertexte, Lebenserinnerungen von Vater Julius oder Ehefrau Luzi bis hin zu Interviews mit weiland noch lebenden Gewährsleuten, aber steht Carrolls nun auch biblio- und diskographisch aktualisiertes Opus Magnum auf Platz eins der Korngold-Forschung.
Der chronologische Report referiert die schicksalhaften Fakten wie Exilbeginn oder Tod ebenso unprätentiös wie die nie ins Obsolete gleitenden, narrativ die Schwerpunkte der Korngold-Vita unterfütternden Details. Als Anwalt der These vom „letzten Wunderkind“, das dank seines Lehrers Zemlinsky fast aus dem Stand das komplexe Tonvokabular der Wiener Moderne beherrschte, dabei massiv dem väterlichen Erwartungsdruck des konservativen Kritikerpapsts nebst Intrigen ausgesetzt war, erfüllt Carroll seine Mission indes nicht ohne bewundernde Apologetik, deren Klischeetendenz auch den Wert der teils prägnanten Werkbetrachtungen relativiert. Kritisches zielt hier primär auf das zeitgeschichtliche Umfeld, persönliche Animositäten oder verfehlte Vorlagesujets, reduziert sich bei der Titelperson gewöhnlich auf Allzumenschliches wie harmlos-kindlichen Eigensinn oder Aktionismus wider ärztlichen Rat.
Allen methodischen Einwänden zum Trotz werden Maßstäbe einer Ultima Ratio Carrolls Intention nicht gerecht. Schließlich verbindet er mit der Neuausgabe den Wunsch, „einen Beitrag zur Rehabilitierung und Anerkennung von Korngold und seiner Musik in den deutschsprachigen Ländern“ (S. 18) zu leisten – einräumend, dass dies „nur den Beginn einer umfassenden Erforschung von Korngold und seiner Leistungen darstellt.“ (S. 365) Ans Werk also zur weiteren Renaissance jenes kurzzeitigen Messias der Moderne und Erfolgskomponisten der Toten Stadt, prompt von den Atonalen als reaktionär verschrienen, als „entartet“ exilierten, zu Hollywoods Filmmusik-Autorität avancierten, lange marginalisierten, aktuell wieder brisanten Klangzauberers!

Andreas Vollberg
Marienheide, 01.01.2013

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