Doppelporträt Eduard Erdmann und Maria Herz. Kontinuitäten, Auf- und Abbrüche im Kölner Musikleben zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus (1925–1935) / Hrsg. von Sabine Meine und Rainer Nonnenmann. – München: edition text + kritik, 2024. – 215 S.: s/w-Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-96707-838-1 : € 29,00 (kart.; auch als eBook)
Ob Maria Herz (1878–1950) und Eduard Erdmann (1896–1958) einander begegnet sind, ist nicht bekannt. Vielleicht wussten sie zumindest voneinander: die jüdische Komponistin aus Köln und ihr deutlich jüngerer baltendeutscher Kollege. Zwei sehr unterschiedliche Musikerpersönlichkeiten, was ihre kompositorischen Profile und Lebensschickale betrifft. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie zwischen 1925 und 1935 in Köln lebten, der Neue Musik-Szene angehörten und mit ihren Werken im Musikleben der Domstadt erfolgreich vertreten waren.
Heute sind die Namen Maria Herz und Eduard Erdmann nahezu unbekannt. Umso verdienstvoller ist es, dass sich 2022 ein musikwissenschaftliches Symposium den beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten widmete. Im nun vorliegenden Tagungsband des Symposiums wird ein facettenreiches Doppelporträt gezeichnet. Darin spiegeln sich zugleich die tiefgreifenden ästhetischen, gesellschaftlichen und politischen Umbrüche der Jahre 1925 bis 1935.
Herausgegeben wurde der mit vielen Notenbeispielen und Abbildungen ausgestattete Band von der Musikwissenschaftlerin Sabine Meine, Professorin für Historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, und ihrem Kollegen Rainer Nonnenmann, Redakteur, Musikkritiker und als Honorarprofessor ebenfalls an der HfMT tätig. Fundiert und angenehm verständlich geschrieben, porträtieren sie die beiden gegensätzlichen Musikerpersönlichkeiten.
Meine stellt Maria Herz als eine ebenso selbstbewusste wie zielstrebige Künstlerin vor. Anhand von Konzertprogrammen, Notenbeispielen und den Tagebucheintragungen ihres Bruders Moritz Bing zeichnet die Musikwissenschaftlerin sehr anschaulich den Weg der Künstlerin Maria Herz nach, der es gelang, sich als Frau und ohne institutionelle Anbindung künstlerisch weiterzuentwickeln und erfolgreich im Konzertleben zu etablieren.
Aus einer großbürgerlichen, musikliebenden Kölner Familie stammend, nahm die früh verwitwete Mutter von vier Kindern seit Beginn der 1920-er Jahre privaten Kompositionsunterricht bei bedeutenden Personen des Musiklebens. Bereits in dieser Zeit entwickelte sie eigene Konzertprogramme mit ihren Liedern und mit Kammermusik. Musikalisch noch vor 1900 geprägt, wechselte sie mit fast 50 Jahren zu Philipp Jarnach, einer der führenden Stimmen der neuen Musik, um ihren spätromantisch geprägten Kompositionsstil zu modernisieren. Trotz ihres zeitraubenden Familienalltags komponierte sie stetig: Neben Liedern und Kammermusik auch Klavier- und später Orchesterwerke, die sie erfolgreich in Konzerten sowie im Rundfunk platzieren konnte. 1929 widmete ihr die Kölner Hochschule ein eigenes Kammerkonzert. Nachdem sie sich zunehmend als Komponistin etabliert hatte, setzte die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ihrer Karriere und der neuen Musik ein Ende. Maria Herz musste ins ausländische Exil emigrieren. Seitdem komponierte sie nicht mehr und ihre Musik verschwand aus der Öffentlichkeit.
Wie stark Eduard Erdmann das Kölner Musikleben geprägt hat, legt Rainer Nonnenmann in seinem klar strukturierten Beitrag eindrucksvoll dar. Konzertankündigungen, Plakate, Programmzettel und Kritiken veranschaulichen Erdmanns Präsenz in Köln wie in anderen Städten. Seine Erste Symphonie op. 10 hatte den mit der atonalen Klangwelt Schönbergs vertrauten jungen Komponisten bekannt gemacht. Als 1925 die Staatliche Hochschule für Musik in Köln gegründet wurde, beriefen die beiden Gründungsdirektoren, Hermann Abendroth und Walter Braunfels, den als „Neutöner“ geltenden Pianisten und Komponisten mutig an die Hochschule, um eine Meisterklasse für Klavier zu übernehmen. Mit vielen Auftritten und einem breit gefächerten Repertoire, von atonal bis in die vorbachische Zeit reichend, wurde er zu einem wichtigen Akteur des Musiklebens. Als Hauptwerk seiner Kölner Zeit gilt das 1929 von ihm selbst uraufgeführte Klavierkonzert op. 15, das Nonnenmann in einem weiteren Beitrag analysiert. 1935 gaben gewalttätige Ausschreitungen in der Hochschule für Erdmann den Ausschlag, seine Stelle zu kündigen. In den Kriegsjahren konzertierte er mit klassisch-romantischen Programmen, trat aber als Komponist auch nach 1945 nicht mehr in Erscheinung.
Weitere Beiträge des Bandes stammen von Heinrich Aerni, Yuval Dvoran, Oliver Fraenzke, Klaus Oldemeyer, Yves Schwarze und Stefan Weiss. Überwiegend auch für interessierte Laien verständlich, betten sie Maria Herz und Eduard Erdmann in ihr musikalisches wie soziales Umfeld ein und runden das Gesamtbild des informativen Doppelporträts ab.
Über Maria Herz ist mittlerweile ein historischer Roman von Hanka Meves erschienen (Die Komponistin von Köln, 2024, s. Rez.)
Friedegard Hürter
Bonn, 06.02.2025