Demian Lienhard: Mr. Goebbels Jazz Band [Michael Stapper]

Demian Lienhard: Mr. Goebbels Jazz Band. Roman – Frankfurt/Main: Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. – 313 S.
ISBN 978-3-627-00306-7 : € 24,00 (geb.; auch als eBook)

Das Foyer, so heißt es, sei die Visitenkarte eines Hotels. Der erste Eindruck, den es den Gästen vermittle, solle gleichermaßen Anspruch und Versprechen sein. Auch im vorliegenden Roman spielt ein Hotel, der luxuriöse Berliner Kaiserhof, eine Rolle. Diese aber nur als Nebendarsteller, und der Vergleich zielt freilich darüber hinaus. Denn selbstredend kann die Empfindung beim Betreten eines Gebäudes auf die Kunst übertragen werden. Das prägnante Riff, die einprägsame Melodiefolge, der klar definierte Klangraum – stellen Komponistinnen und Komponisten es klug an, erschließt sich in den Anfangstakten der Charakter des Werkes. Nicht anders gehen Autorinnen und Autoren, unter ihnen auch Demian Lienhard, es an. Die ersten Abschnitte seines Romans Mr. Goebbels Jazz Band setzen den Ton durch ihre sprachgewandten und überraschenden, mit feiner Ironie durchzogenen Formulierungen. So lädt er die Leserschaft mit seinem an die Sprachkunst der 1920er und 1930er Jahre erinnernden Schreibstil ein, tief in die aberwitzige Geschichte aus den frühen und dunklen 1940er Jahren einzutauchen.

Es geht also um ein Hotel als Rückzugs- und Arbeitsort eines scheiternden Schriftstellers, um Musik, um Nazis, um die dunkelste Episode deutscher Geschichte und um ganz viel Propaganda. Aber der Reihe nach: Der Schweizer Autor Demian Lienhard, geboren 1987 und 2019 mit seinem Debüt Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat bekannt geworden, hat sich einem Thema gewidmet, das äußert absurd anmutet. Doch nur dann, wenn man sich über Doppelmoral faschistischer Regime wundert. Es ist bekannt, dass die deutsche Kulturpolitik während der nationalsozialistischen Diktatur der Swing- und Jazz-Musik größtenteils kritisch, ablehnend und feindlich gegenüberstand. Ganz darauf verzichten konnte und wollte man jedoch auch nicht. Sei es, um den kämpfenden Soldaten wehrertüchtigend zur Seite zu stehen, sei es, um die Synkopen in den Dienst der eigenen Sache zu stellen und sie mit deutschem Gedankengut überzogen in die Ohren ausländischer Bevölkerungen zu pusten. Und genau darum geht es. 1939 wird mit „Charlie and His Orchestra” eine professionelle Big Band gegründet, die Propaganda über den Äther schickt. Die Rolle der Hauptdarsteller in dem Roman teilen sich die Musiker mit dem aus der Schweiz stammenden Autor Fritz Mahler, der die Entwicklung der Band biografisch begleiten soll, und vor allem mit William Joyce, einem irisch-amerikanischen Rundfunksprecher im Dienst der Nationalsozialisten. Man ahnt schon, dass Wahrheit und Fiktion, Propaganda und dichterische Freiheit sehr eng beieinanderliegen.

Der Biograf Mahler beispielsweise ist fiktiv. Die Objekte seiner schriftstellerischen Ambitionen aber sind es gerade nicht. Charlie alias Karl Schwedler ist ebenso real wie seine Band, zu der renommierte Musiker wie Willy Berking, Primo Angeli, Freddie Brocksieper oder Eugen Henkel gehörten. Und auch William Joyce, den Mahler immer mehr in den Mittelpunkt seiner Arbeit rückt, war der berühmteste der englischsprachigen, im Dienst der Nazis agierenden und als Lord Haw-Haw bekannten Rundfunksprecher. Der Autor hat die Geschichte seiner Protagonisten detailverliebt recherchiert und gibt sie überwiegend ebenso authentisch wieder. Die Gespräche zwischen Mahler und den Musikern, die scharfe Beobachtungsgabe kleiner Details, die stimmungsvollen Schilderungen musikalischer Darbietungen sind so überzeugend, dass sie dokumentarische Qualität besitzen. Doch nie verlässt Lienhard seine witzig-ironische, originelle, bisweilen etwas gekünstelte Sprache. Exemplarisch hierfür steht seine Schilderung eines Auftritts von Freddie Brocksieper (S. 252ff), die auf ein existierendes Tondokument, der „Cymbal Promenade”, zurückgeht, das man sich zur akustischen Illustration in den Streamingdiensten anhören sollte.

Lienhard entwickelt seine Geschichte meisterhaft raffiniert und zieht die Leserschaft unweigerlich hinein in sein Spiegelkabinett, in dem Wahrheit und Fiktion miteinander verschwimmen. Das ist gleichermaßen amüsant, verwirrend und inspirierend, bietet es doch genügend Anregungen für eigene weitere Überlegungen zur perfiden Wirkmächtigkeit propagandistischer Aktionen. Was bei den atmosphärischen und an Berlin Babylon erinnernden Beschreibungen des Nachtlebens oder bei den selbstquälerischen Betrachtungen Mahlers über seine Aufgabe zu kurz kommt, ist der Kontext, in dem die Geschichte spielt. Während in den Vernichtungslagern der Nazis Millionen Menschen ermordet werden und der von Deutschland begonnene Krieg Europa in Schutt und Asche legt, drehen sich die Protagonisten von Goebbels Jazz Band im Kreis und um sich herum. Nur ab und zu blitzt das Grauen durch, wenn einzelne Musiker nicht nur fürchten, ihre Arbeit, sondern ihrer Religion wegen auch das Leben zu verlieren. Und als Margaret, die Frau von William Joyce bei einem Besuch in Danzig eine „geisterhafte Kolonne ausgemergelter Wesen in grober Kleidung und mit kahlgeschorenen Schädeln” (S. 203) vorbeiziehen sieht, erübrigt sich freilich für den Autor jede weitere Erläuterung. Das Schicksal dieser zum Tode verurteilten Menschen ist jeder und jedem bekannt.

Michael Stapper
München, 09.02.2025

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