Adi Traar: Der Stab des Dirigenten. Ein Orchesterkrimi [Rüdiger Mull]

Traar, Adi: Der Stab des Dirigenten. Ein Orchesterkrimi – Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011. – 228 S.
ISBN 978-3826044823 : € 16,80 (Pb.)

„Adi Traar ist Professor für Oboe an der Kunstuniversität Graz und war darüber hinaus 25 Jahre Solo-Oboist im Grazer Philharmonischen Orchester. An die Stelle seines kompositorischen Schaffens ist mehr und mehr das (literarische) Schreiben getreten, und er veröffentlicht nunmehr auch Reiseliteratur.“
Die offizielle Inhaltsangabe lautet: „Ein grausamer Taktstocktyrann regiert mit strenger Hand über Orchester und Opernhaus. Besonders abgesehen hat er es auf den Solobratschisten, der alsbald von der Bildfläche verschwindet. Nun bleibt keine Note mehr auf der anderen, es kommt zu mysteriösen Anschlägen, eine weitere Person wird vermisst, und fern von hier entdeckt man eine durch rätselhafte Zeichen entstellte Leiche. Wie hängt das alles zusammen? Und wer sind die Fädenzieher? Das Phantom-der-Oper-Revival oder doch die berüchtigte Nebengeschäft-Mafia? Über allem aber schwebt der jahrelang gestaute Hass gepeinigter Orchestermusiker … Das kontroverse und zugleich urkomische Buch spannt den Bogen von Wagner-Ver(w)ehrern und schrulligen Musikertypen – sowie deren launige Theorien über Musik und die Welt – bis zum sagenumwobenen Island. Hier kommt es auch zum grausigen Showdown in skurrilem Edda-Ambiente. Verblüfft erkennt der Leser, wie sich die unterschiedlichsten Ausformungen von Macht – und die Antworten darauf – gleichen.“
Das reizt Orchester-Musiker und diesen Nahestehende zum Lesen – daher sei vor der Lektüre gewarnt. Der Schreibstil ist im Präsens mit viel Parataxe von einer kinderbuchhaften Naivität geprägt. Die zunächst aneinandergereihten Musiker-Anekdoten haben Stammtisch-Niveau. Sie entsprechen zwar einer Realität: So denken Orchester-Musiker durchaus übereinander, und so wird nach hinreichendem Alkohol-Genuß über- und miteinander kommuniziert. Das ist aber in dieser Quantität schon unerträglich, bedient lediglich Klischees. Es hat auch nichts mit dem beschriebenen Arbeits-Alltag eines seriösen Orchesters zu tun. Ob das Viel Harmonischere Distrikt-Orchester, kurz VHDO zu den seriösen zählt, ist unklar, aber es soll der Eindruck erweckt werden, da es von einem Generalmusikdirektor („Dschi Em“!) geleitet wird. Es gibt nicht wenige tyrannische Dirigenten, die zu ermorden gerne frustabbauend thematisiert wird, was interessanten Stoff für eine Kriminalgeschichte böte. Aber hier kommt hinzu, daß es gar keinen Krimi gibt! Es wird aus dem Musiker-Anekdoten-Sumpf langsam und träge aufsteigend ein zäher Nebel von Ereignissen erzählt, welche eventuell auf Verbrechen hindeuten könnten. Die Geschichte spielt in Österreich, deshalb kommt dann ein schrulliger (Vorsicht: Humor!) Orchesterwart ins Spiel, der dort Orchester-Inspektor heißt (Vorsicht: witziges Wortspiel!) und nun „die Fälle“ untersucht. Das ist so lustisch wie Hessische Fassenacht. Die Auflösung ist langweilig, aber ich möchte sie den noch verbleibenden Lesern nicht vorwegnehmen.
Wenn eine Empfehlung zu diesem Buch ausgesprochen werden soll, dann diese: Für Chorsänger, die häufiger Werke mit Orchesterbegleitung aufführen, ist es ein hilfreiches Lehrbuch, um mit den Musikern in Pausen und Feiern nach Aufführungen ins Gespräch zu kommen und sich dabei kundig als Insider der Szene zu tarnen, wenn man diese Klischeeflut intelligent filtert und dosiert im Small-Talk einsetzt.

Rüdiger Mull
Bonn, 09.03.2012

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Eine Antwort auf Adi Traar: Der Stab des Dirigenten. Ein Orchesterkrimi [Rüdiger Mull]

  1. admin sagt:

    Nachdem der Autor des Buches seit längerem die Redaktion zu überzeugen versucht, die obige Rezension von der Webseite zu entfernen, haben wir ihm die Gelegenheit zu einer Gegendarstellung gegeben. Wir betonen, dass dies eine absolute Ausnahme ist, von der wir uns eine Beendigung der Debatte erhoffen.

    “ENTGEGNUNG vom Autor

    Neben den grundlegenden Miss- und Unverständnissen des Rezensenten bezüglich des Romaninhalts (Was ist Ironie? Was ist ein Klischee? Hat Literatur ausschließlich Realität abzubilden?), gibt es eine Reihe von nachweisbaren Unwahrheiten.
    „ … daher sei vor der Lektüre gewarnt. Der Schreibstil ist im Präsens mit viel Parataxe von einer kinderbuchhaften Naivität geprägt.“
    Unwahr – Es gibt nicht einen Absatz, in dem Parataxe gehäuft auftritt; die Behauptung als Gesamteindruck zu geben, ist gänzlich unmotiviert. Da liegt offensichtlich ein terminologisches Problem vor. Der Schreibstil ist ausgeprägt kompakt, z.B. befinden sich gleich auf den ersten Seiten Sätze mit 65, 80, 85 Wörtern (es gibt noch längere, man erspare mir die weitere Suche), und es sind keine aneinandergereihten Hauptsätze. Abgesehen davon entzieht sich Parataxe eines Werturteils. (Daher ist es journalistisch sehr ungeschickt, diesen Punkt unmittelbar der Buchwarnung anzuschließen und ihn mit der Kinderbuchhaftigkeit negativ zu konnotieren.) Unwahr – Es gibt definitiv keinen einzigen Absatz, der von “Naivität” geprägt ist (so mancher Protagonist wohl schon – das ist Literatur) und der auch nur im Entferntesten an ein Kinderbuch erinnert.
    „Die zunächst aneinandergereihten Musiker-Anekdoten haben Stammtisch-Niveau.“
    Unwahr – Die Gespräche über Gott und die Welt sind auflockernd in die Handlung eingestreut, niemals aneinandergereiht. Viele haben allein von der Themenauswahl beträchtlichen Tiefgang. (Es gibt natürlich auch das Schnodderige, das immer ein Teil der Wahrheit ist.) Dass sich manche Protagonisten dabei überfordern und schließlich ausgleiten, bzw. prinzipiell Ernst über Humor verhandeln, ist ein stilbildendes Element. Allein dadurch, dass die Dialoge stilisiert, überhöht verfasst sind, entziehen sie sich eines Vergleichs mit einem sog. “Stammtisch-Niveau”.
    „ … wie Musiker über- und miteinander kommunizieren … bedient lediglich Klischees“
    Das Einser-Klischee vom ermordeten Dirigenten wird nicht eingelöst. Der Mord entpuppt sich als gar kein Mord. Zwei Kommissare recherchieren statt einem. Als Tatmotiv eine gegen sich selbst gerichtete Läuterung. Ist das Krimi-Klischee? Sicher nicht, dafür Parataxe.
    Einerseits ortet der Rezensent angeblich Klischees (spielt man als Autor mit Klischees, kommt man ihnen beizeiten nahe), anderseits fordert er solche ständig ein, vermisst augenscheinlich marktübliche Krimiingredienzien.
    „Es (das Klischee) hat auch nichts mit dem beschriebenen Arbeits-Alltag eines seriösen Orchesters zu tun.“ „Ob das Viel Harmonischere Distrikt-Orchester, kurz VHDO zu den seriösen zählt, ist unklar, aber es soll der Eindruck erweckt werden, da es von einem Generalmusikdirektor („Dschi Em“!) geleitet wird.“
    Die Frage der Seriosität stellt sich im Zuge einer literarisch-ironischen Erzähl-Grundhaltung überhaupt nicht. Darüber hinaus wird ein Orchester keinesfalls erst dann seriös, nur weil ihm ein Generalmusikdirektor vorsteht, diese Schlussfolgerung ist aus Unkenntnis unwahr.
    „Die Geschichte spielt in Österreich, deshalb kommt dann ein schrulliger (Vorsicht: Humor!) Orchesterwart ins Spiel, der dort Orchester-Inspektor heißt (Vorsicht: witziges Wortspiel!) und nun „die Fälle“ untersucht.“
    Unwahr – Die Handlung ist definitiv nicht in Österreich verortet. Die Passage ist überdies gefährlich nahe an Österreich-Ressentiments heranformuliert. Dabei ist gerade österreichische Literatur ein Garant für Ironie, die dem Rezensenten offensichtlich fremd ist. Unwahr – Ein Orchesterwart heißt in Österreich mitnichten Orchester-Inspektor. Es sind hüben wie drüben zwei unterschiedliche Funktionsbereiche. Allein schon aufgrund dieses einen Irrtums dürften sich dem Rezensenten gewisse Handlungsabläufe gar nicht erschlossen haben.
    Falls jemand auch nur eine einzige meiner als Unwahrheit deklarierten Behauptungen widerlegen kann, zwangsbeglücke ich ihn/sie mit 5 Freiexemplaren meines Orchesterkrimis. Als Weihnachtsaktion ab Mitte November erhöhe ich gerne auf 10 … (Vorsicht: Ironie!)

    Adi Traar, Musiker und Autor”
    [Graz, 30.09.2017]