Christoph Becher: Die Schönberg Challenge. – Hofheim: Wolke, 2024. – 208 S.
ISBN 978-3-95593-274-9 : € 24,00 (Pb.)
Die Frage, wie jemand zu seinen musikalischen Vorlieben kommt (und zu anderen nicht), führt tief in die Soziologie der Geschmacksbildung und der ästhetischen Erziehung. Zusammen mit der Frage, warum manche Menschen auf Musik primär hedonistisch reagieren, andere hingegen auch andere Aspekte als ‚Wohlgefallen’ beim Musikhören gelten lassen können, umschreibt dieser Komplex eine individuelle ‚Psychogrammatik’ des Hörens zwischen den Polen der E-Musik des Bildungshörers und der U-Musik des trivialen Musikkonsums, die anscheinend im Laufe eines Lebens nur wenig Änderungen und Erweiterung erfährt. An dieser Situation ist die akademische Musikwissenschaft nicht gänzlich unschuldig, hat sie es doch seit Jahrzehnten versäumt, ihre Expertise auch außeruniversitären Bildungsprogrammen zur Verfügung zu stellen. Dass sich auch zunehmend der öffentliche Rundfunk aus diesem Segment der Musikvermittlung zurückzieht und die Kultusministerien den Musikunterricht für reinen Zeitvertreib halten, vulgo abschaffen wollen, verheißt für die Zukunft der musikalischen Bildung nichts Gutes.
Umso mehr müssen Versuche begrüßt werden, das Musikbuch als Medium der Vermittlung und musikalischen Aufklärung neu ins Spiel zu bringen, vor allem, wenn dies abseits der geläufigen biographischen und historiographischen Spielformen sowie außerhalb der normierten curricularen Bahnen von Schule und Studium geschieht. Der Musikwissenschaftler und langjährige Dramaturg Christoph Becher hat mit seiner Schönberg Challenge einen sympathischen Vorschlag gemacht, wie eine solche Heranführung an Musik für Jedermann über das Buch im 21. Jahrhundert aussehen kann.
An Arnold Schönberg, dessen Werke breiten Kreisen gerade als Inbegriff des ‚Nicht-Musikalischen’ überhaupt gelten, exemplifiziert er, wie ein Leser, der dessen Musik nicht gewohnt ist und nicht schätzt, aber zumindest neugierig darauf ist, Schritt für Schritt an das Werk dieses Komponisten herangeführt werden kann. Bechers Ziel ist nicht, dass der Leser Schönbergs Musik ‚versteht’ oder sogar schätzt, sondern lediglich, dass er Blockaden und Vorurteile abbaut und sich mit den Kompositionen und dem Umfeld vertraut macht, dass er sich auf die historische Gestalt Schönberg und sein Schaffen – und zugleich auf die Bedingungen des Komponierens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – einlässt. Bewusst ohne Notenbeispiele, aber mit zahlreichen (möglicherweise auch zu zahlreichen) eingeschobenen Erklärungen des musikalischen Vokabulars, stellt Becher in 12 Kapiteln in einer Verschränkung von biographischen, ästhetischen und werkbezogenen Informationen chronologisch 12 Kompositionen Schönbergs von der Verklärten Nacht op. 4 bis zu Ein Überlebender aus Warschau op. 46 vor. Die jeweils ausgewählten Musikbeispiele sind über Spotify via QR-Code leicht zugänglich und erlauben einen unmittelbaren Nachvollzug der musikalischen Erläuterungen.
Wer sich an modischen Begriffen wie „Challenge“ nicht stört, über das IKEA-typische Duzen ebenso großzügig hinwegsehen kann wie über vereinzelte Tippfehler, dem sei dieses Buch unbedingt empfohlen. Durchaus (und nicht nur) ein Buch für denjenigen Musiklehrer, den man als Schüler früher gerne gehabt hätte.
Inhalt
Markus Bandur
Berlin, 19.02.2025