Erich Wolfgang Korngold. Wunderkind der Moderne oder letzter Romantiker? / Hrsg. von Arne Stollberg

Erich Wolfgang Korngold. Wunderkind der Moderne oder letzter Romantiker? / Hrsg. von Arne Stollberg. – München: edition text + kritik, 2008. – 334 S.: Abb. s/w, Notenbeisp.
ISBN 978-3-88377-954-6 : € 29,00 (brosch.)

Paradigmenwechsel im Zuge der Postmoderne haben dem Werk des Österreichers Erich Wolfgang Korngold (1897–1957) seit den 70-er Jahren zu einer posthumen Konjunktur im Musikbetrieb verholfen. Und dank der Abkehr von Adornos Postulat, dass sich Modernität objektiv nach dem Progressismus des Materialstands bemisst, nähert sich nun auch die Musikwissenschaft dem gemeinhin spätromantisch Rubrizierten mit erhöhtem Erkenntnisinteresse. So widmete sich ein unter Ägide des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Bern veranstaltetes Symposion 2007 erstmalig ganz der Komponistenpersönlichkeit Korngolds und förderte, wie der Kongressbericht beweist, nicht nur Überraschendes, sondern schier Sensationelles zutage.
Unter den Meriten imponiert zunächst eine Vielzahl analytischer Belege, die Korngold gerade auf Basis seines Bekenntnisses zu Tonalität und klassizistischem Formenkanon als exponierten Vertreter der Wiener Moderne offenbaren. Aus dem Gesamtbild kristallisiert sich sodann das infolge biografischer und zeitgeschichtlicher Sonderbedingungen in seiner Art singulär ausgeformte Phänomen Korngold: laut seinem Hauptbiografen Brendan G. Carroll „möglicherweise größtes komponierendes Wunderkind aller Zeiten“ (S. 303), zugleich lebenslang im Bann der konservativen, auf romantische Inspirationsästhetik und klassizistische Bindung verpflichtenden Indoktrination durch Vater Julius, als antiquiert abgetan im Innovationsgetriebe der Zwischenkriegszeit, emigrierter Filmmusiklieferant für Hollywood, nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen schon zu Lebzeiten, doch heutzutage kultur- und kompositionsgeschichtlich brisant.
Obwohl primär Fallstudien oder Überblicke, dringen die Referate auf zumeist höchstem exegetischem, ja interdisziplinärem Niveau differenziert in werkimmanente Tiefe und kontextuelle Weite vor. Nach Theo Hirsbrunners Skizze zum Wien um 1900 pointiert Arne Stollberg (brillant auch seine Befunde zum Einfluss des Lehrers Zemlinsky qua Amalgamierung der „entwickelnden Variation“) Korngolds musikgeschichtliche Sendung einer Rettung der Tonalität unter väterlicher Direktive. Seine Position als „Vertreter einer besonderen Ausformung der Moderne“ (S. 58), nämlich „Diatoniker reinsten Wassers“ (S. 59) mit Hang zu exzessiver Chromatik, manifestiert sich prägnant in Hans-Joachim Hinrichsens Fokus auf die Klaviersonaten. Der dringend gebotenen Neubewertung der Kammermusik widmet sich Michael Kube, bevor eine Serie spezifizierter Fragestellungen zu Symphonik und Bühnenwerken, z.B. Violanta als freudianischem Aufbruch in die Moderne oder Korngolds reaktionären Operettenbearbeitungen, kulturhistorisch Bände spricht. Ein Sonderfall: der Filmmusiker und Mitbegründer des klassischen Hollywoodstils im Spannungsfeld von Kunstanspruch und Funktionalität.

Andreas Vollberg
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 67 f.

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