Richard Strauss und die Oper. „Trägt die Sprache schon Gesang in sich…“ / Hrsg. von Christiane Mühlegger-Henhapel u. Alexandra Steiner-Strauss. – St. Pölten [u.a.]: Residenz, 2014. – 211 [12] S.: zahlr. Abb.
ISBN 978-3-7017-3335-4 : € 34,90 (geb.)
Ob Geburtsstadt, zweite Heimat oder Gastspielstation – führende Komponisten Europas schrieben nachhaltige Kapitel der Musikgeschichte in Wien. Nun verbindet die Fama den Münchner Richard Strauss lokal zunächst mit seiner Domäne Garmisch-Partenkirchen, wo er seine Kapellmeister-Odyssee mit dem Bezug einer Prachtvilla beendete und fortan nur noch saisonal die Domizile wechselte. Doch gerade in dieser Beziehung verbindet auch den sesshaften Bajuwaren Strauss viel Personelles und Institutionelles, zumal im Genre Oper, mit der Donaumetropole. Aus dieser Konstellation nun schöpft das Wiener Theatermuseum seinen Beitrag zum 150. Geburtstag des nach wie vor repertoirebeherrschenden Großmeisters und punktet mit einer Ausstellung vom 12. Juni des Jubiläumsjahrs bis zum 9. Februar 2015.
Die Aussagekraft und mediale Vielfalt des exponierten Materials erstaunt umso mehr, als der Veranstalter keine Strauss-Abteilung im engeren Sinne vorweist, sondern die Wien-Bezüge aus den Sammlungen und Nachlässen großer Wiener Weggefährten herauskristallisiert. In Printform daran teilhaben lassen die beiden Kuratorinnen anhand eines großzügig illustrierten Begleitbandes. Am Ablauf der Ausstellung orientiert, eignet ihm weniger die thematische Fokussierung etwa eines Tagungsberichts oder der ganzheitliche Ansatz eines Nachschlagewerks wie dem kürzlich erschienenen Strauss-Handbuch. Doch reihen Konzeption und Sachkompetenz zusammen mit dem großenteils noch unbekannten, oft luxuriös kolorierten Anschauungsmaterial auch dieses Katalogbuch (24 x 28 cm) in die empfehlens-, überdies sogar eminent „sehens“-werten Publikationen zum Strauss-Jahr.
Vor dem Spezielleren stehen einige Basics, klugerweise aber keine herkömmlichen: Laurenz Lütteken bricht (vgl. seinen Werkführer in der Beck-Reihe) eine Lanze für Strauss als lange verkanntem Modernem. Und Jürgen May gibt, analog zu seinem Beitrag im Strauss-Handbuch, einen scharf beobachtenden Einblick in Strauss‘ Komponierwerkstatt. Dessen konfliktreiche Direktion der Wiener Oper neben Franz Schalk von 1919 bis 1924 resümieren atmosphärisch und statistisch Andreas und Oliver Lang. Und wo die Ausstellungsmacher profund mit eigenen Pfunden wuchern können, nutzt der Begleitband die Chance, eine Reihe ungeahnter, hoch substantieller Aspekte in Bild und Schrift zu dokumentieren. Dabei sprudelt die facettenreichste Quelle aus dem Nachlass des Graphikers und Bühnenbildners Alfred Roller, dessen Einfluss auf Genese und Rezeptionsgeschichte des Straussschen Bühnenwerks andernorts kaum in ähnlicher Intensität referiert und zugleich auch illustriert sein dürfte. Beleuchtet werden unter diesem Akzent unter anderem: Wien als dramaturgischer Faktor, der Themenkomplex Antike, Rollers Bühnenausstattungen, das Teamwork mit dem durchgehend präsenten Hugo von Hofmannsthal, die Spezifika der Librettisten Stefan Zweig und Joseph Gregor sowie – dank seines Gesamtnachlasses vor Ort – die geplatzte Autorschaft des Schriftstellers Hermann Bahr am Textbuch von Strauss‘ Intermezzo. Maßstäbe in der ungeschönten Bewertung von Strauss‘ durch „konkrete persönliche und auch politische Interessen“ (S. 175) geleiteter Positionierung im Dritten Reich setzt Oliver Rathkolb. Persönliches in Interviews steuern bei: Enkel Christian Strauss aus familiärer, Kammersängerin Brigitte Fassbaender aus sängerischer und inszenatorischer Sicht.
Bilanz: eine Publikation von bleibendem Werk, Album und Kompendium zugleich.
Andreas Vollberg
Köln, 23.08.2014