Lütteken, Laurenz: Richard Strauss. Die Opern. Ein musikalischer Werkführer. – München: Beck, 2013. – 128 S. (C.H. Beck Wissen)
ISBN 978-3-406-65486-2 : € 8,95 (kart.; auch als e-Book erhältl.)
Unter den Opernkomponisten, die – einmal rein kalendarisch betrachtet – im 20. Jahrhundert gelebt haben, belegt Richard Strauss (1864–1949) zeit seiner ersten Erfolgswerke einen Spitzenplatz. Ist er aber – nun aus stilistischer Warte – auch ein Komponist jenes bewegten Säkulums? Ist er dazu – nun bewusst provokant gefragt – auch ein Exponent der „Moderne“? Hier scheiden sich die Geister.
Mit der kursorischen Indizienfindung für ein klares Ja – nämlich zu Strauss als Musiktheatraliker der Moderne, und das im Selbstbild wie im Phänotyp – erfüllt der Zürcher Ordinarius Laurenz Lütteken die Mission der Beck-Werkführer, einen führenden Komponisten anhand einer exemplarischen Werkgruppe im kompositions-, stil- und kulturgeschichtlichen Umfeld zu verorten. Das kühn exponierte Moderne-Postulat für den „letzten Romantiker“ schreit schon einleitend nach einer begründeten Distanzierung von Adornos viel adaptierter Polemik, laut der sich komponierende Moderne ästhetisch und ethisch „auf einen dialektisch gebrochenen Fortschritt im ‚Material’“ (S. 9) verpflichte. Im Fall Strauss mache Moderne andere Vorzeichen und Wirkungen geltend: Infolge der Vereinzelung des Individuums im Fin de Siècle müsse sich die Kunst wieder dem Menschen und seinen Verhältnissen zuwenden. In produktiver, nicht antagonistischer Abwendung von Wagner habe das Musiktheater – bar eines kunstreligiösen, metaphysischen Überbaus – zu „wahrnehmbaren, mitteilbaren, aus der Sprache gewachsenen Formen einer handwerklich keine Zugeständnisse machenden Tonsprache“ (S. 7) zu finden.
Lütteken nun gleicht solche auch brieflich explizit dargelegten Modernekonzepte Strauss’ (Leitthema: das „Plastische“) und Hugo von Hofmannsthals (Pendant: das „erreichte Soziale“), die teils aus der Zeit schon vor deren epochaler Symbiose datieren, mit ihren Arbeitsmodi und Ergebnissen ab. Flankiert von ordnenden Exkursen und Fazit, klassifiziert Lütteken hierzu 16 eng am Ausgangsthema orientierte Einzelbeschreibungen nach „Opern vor Hofmannsthal“, „Strauss und Hofmannsthal“ sowie „Jenseits von und nach Hofmannsthal“ – vom selbst gedichteten Guntram als „Revision der Künstleroper“ (S. 20) über den Rosenkavalier als musikalisch und thematisch mehrdeutiger, damit eigentlich moderner „Komödie für Musik“ bis zum „Abschied“ mit Die Liebe der Danae.
Die analog aus Werkdaten, Entstehung, Inhalt und exegetischem Kommentar aufgebauten Werkbeschreibungen informieren auch bei separater Lektüre fundiert. Dienlich zwang dabei das Pocketformat zu kompakter Textmenge. Lüttekens terminologisch und bildhaft ungemein sprachkompetenter Analyseduktus verlangt jedoch gerade in den Kommentarteilen das Vermögen des Lesers, manchen recht abstrakt formulierten Befund zu kompositionsästhetischen und -technischen Phänomenen konkretisierend weiterzudenken.
Andreas Vollberg
Köln, 21.09.2013