Hermand, Jost: Glanz und Elend der deutschen Oper. – Köln: Böhlau, 2008. – 312 S.
ISBN 978-3-412-20098-5 : € 24,90 (geb.)
Bei Hermands Buch handelt es sich um eine geschichtliche Abhandlung über die deutsche Oper, dargestellt anhand von 15 Werken aus der Zeit von 1691 (Bibers Chi la dura la vince) bis 1992 (Die Eroberung von Mexiko von Wolfgang Rihm) – dabei geht es Hermand weniger um musiktheoretische Erörterungen als vielmehr um den politischen und soziokulturellen Kontext der kostenintensivsten, hoch subventionierten und deshalb immer regierungsabhängigen Kunstform. Weil es sich bis 1918 vorwiegend um Hoftheater – und damit um dynastische Repräsentationsobjekte – gehandelt hat, empfand man nach dem Ende der Monarchie auch die Oper als nicht mehr zeitgemäß. Zudem war das Musiktheater in der nationalsozialistischen Diktatur und im „real existierenden Sozialismus“ noch einmal besonders gefördert und auch hier als Prestigeobjekt missbraucht worden, was in vielen Kreisen ebenfalls für Ablehnung sorgte – und doch hat die Oper von ihrer Faszinationskraft nichts eingebüßt und konnte bis heute überleben, wenn sie auch inzwischen (wie Hermand zu Recht feststellt) vielfach zur „Eventkultur“ verkommen ist.
Vor diesem kulturhistorischen Hintergrund wählte Hermand die unterschiedlichsten Stücke aus, von denen beispielsweise Mozarts Zauberflöte (vom Autor als „Utopie einer menschheitsbeglückenden Bruderschaft“ charakterisiert), Webers Freischütz („Deutschbetontes zwischen Schauerromantik und Biedermeier“) und Wagners Parsifal (eine „vegetarische Botschaft“) zum längst kanonisierten Repertoire gehören, während bei anderen, wie Günther von Schwarzburg des Mannheimer Hofkapellmeisters Ignaz Holzbauer (mit dem 1777 „Nationalgefühle“ entfacht worden seien) oder Arnold Schönbergs Moses und Aron (Zeugnis seiner „zionistischen Wende“) vor allem die musikgeschichtliche Bedeutung im Vordergrund steht; darüber hinaus bezieht Hermand noch absolute Raritäten ein, wie zum Beispiel Lortzings Regina, einer 1848 geschriebenen Oper voll revolutionären Gedankenguts, die bis heute in ihrer Originalgestalt noch nicht aufgeführt worden ist.
Hermand vertritt in seinen Ausführungen vorwiegend einen eher neokonservativen Standpunkt und kritisiert die „klamaukhaften“, oftmals ins „Obszöne“ abrutschenden Einfälle des modernen Regietheaters. In einem Nachwort fasst er diese grundsätzliche Kritik zusammen und spricht dabei dem überwiegend wenig experimentierfreudigen Opernpublikum sicher aus dem Herzen – doch dies ist ein strittiges Thema und dürfte vielfach auch auf Unverständnis stoßen. Seine Werkauswahl zu tadeln, wäre hingegen etwas zu billig, zumal Hermand damit sein Ziel durchaus erreicht. Nur ein jeweils bezeichnendes Beispiel für das „Dritte Reich“ und die DDR hätte bei der politisch eingefärbten Nachzeichnung des deutschen Weges in der Operngeschichte nicht fehlen dürfen!
Georg Günther
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 29 (2008), S. 365