Strohmann, Nicole K.: Gattung, Geschlecht und Gesellschaft im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Studien zur Dichterkomponistin Augusta Holmès. – Hildesheim [u. a.]: Olms, 2012. – 622 S.: 65 Abb.
ISBN 978-3-487-14701-7 : € 78,00 (geb.)
Nicole Strohmanns Dissertation zu Augusta Holmès (1847–1903) beschäftigt sich mit einem besonderen Aspekt der in ihrer Zeit bereits international anerkannten und erfolgreichen französischen Berufskomponistin, nämlich, wie die Autorin es ausdrückt, dem „Identitätenkaleidoskop“, das die Person Holmès’ aufweist.
Um sich der Komponistin unter diesem Gesichtspunkt zu nähern, untersucht Strohmann im Einzelnen drei ausgewählte Werke: die Oper La Montagne noire (UA 1895 an der Opéra Garnier), die zum 100jährigen Jubiläum der Französischen Revolution komponierte Kantate Ode triomphale en l’honneur du Centenaire de 1789 sowie die Symphonische Dichtung Andromède (UA 1900). Jedes Werk wird in den zeitgenössischen Kontext eingebettet und besonders mit Blickwinkel auf die Konstruktion der Persönlichkeit Holmès’ untersucht. Es entsteht das Bild einer selbstbewussten und zielgerichtet handelnden Künstlerin, die ihre Vorstellungen zu konkretisieren wusste. Dies belegen z. B. die eigenhändigen Angaben zur Bühnengestaltung von La Montagne noire.
Holmès verstand sich als universale Künstlerin und strebte stets eine Personalunion von Komponistin und Dichterin an. Die Kontextualisierung der 1879 erfolgten Naturalisation, wodurch Holmès, Kind englisch-irischer Eltern, endlich die Staatsbürgerschaft des Landes erhielt, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte, und ihre Konversion vom lutherischen zum katholischen Glauben zeigen spannende Aspekte dieser schillernden Persönlichkeit. Zahlreiches Bildmaterial in hervorragender Qualität veranschaulicht die verschiedenen Schwerpunkte der Arbeit.
Ein kurzer biographischer Abriss wäre für weniger in die Materie eingearbeitete LeserInnen sicher hilfreich gewesen. Dafür werden in einem ausführlichen Anhang musikalische und schriftliche Quellen von und über Holmès verzeichnet. Warum allerdings zwischen 1792 und 1794 entstandene Werke Fr.-J. Gossecs in einer Auflistung von „Noten zeitgenössischer Komponisten“ figurieren (S. 422), ist mir nicht ganz klar. Derartige Irritationen durchziehen leider weite Strecken des Buches. So bestätigte etwa ein schon etwas verzweifelter Blick in alte Studienunterlagen, dass zumindest zu meiner Zeit an der Sorbonne ein differenzierterer Blick auf die französische Literaturgeschichte gelehrt wurde. Und der Satz „L’Oracle a prononcé“ steht im Übrigen eindeutig nicht im passé simple, sondern im passé composé (Analyse S. 294).
Es bleibt festzuhalten, dass Strohmann einen sehr interessanten Ansatz gewählt hat, um die Dichterkomponistin Holmès unter einem neuen Blickwinkel darzustellen, wenn auch leider einige Schönheitsfehler den Genuss an der Lektüre trüben. Die detaillierten Beschreibungen des originalen Aufführungsmaterials wecken den Wunsch nach einer Rekonstruktion und die minutiöse Quellenauflistung im Anhang wird sicher für weitere Forschungen äußerst hilfreich sein.
Claudia Schweitzer
Melsungen, 22.09.2012