VOICES. Prägende Musik- und Theatererlebnisse [Barbara Schmidt]

VOICES. Prägende Musik- und Theatererlebnisse / Hrsg. von Christine Cerletti und Thomas Voigt, mit einem Vorw. von Elke Heidenreich, mit Beitr. von Thomas Voigt und Jürgen Kesting u. a. – Wien: Verlag für moderne Kunst, 2022. – 336 S.: 440 Farb- u. s/w-Fotos.
ISBN 978-3-903439-44-3 : € 49,00 (geb.)

Wer beim Titel VOICES an berühmte SängerInnen denkt, liegt nur teilweise richtig. Auch Regisseure, Manager, Pianisten, Dirigenten sind Teil der Veröffentlichung. Ihre Gemeinsamkeit besteht aus der Verbundenheit mit der Oper oder zumindest mit der klassischen Musik. Sie erzählen über die definierenden Momente ihrer Karriere, die ausschlaggebenden Situationen, die zum Ergreifen ihres Berufs geführt haben. Der Band versucht einen Bogen zu schlagen „über einhundert Jahre Kulturgeschichte […]: von Caruso über die ‚Goldenen 1950er‘ bis zur Gegenwart“ (S. 22).

Zu Wort kommen die großen Namen wie Jonas Kaufmann, Cecilia Bartoli, Thomas Hengelbrock, Anja Harteros, Rudolf Buchbinder und Nikolaus Bachler (und überraschender vielleicht: Judith Williams), um nur einige zu nennen. Die jüngere Generation ist u. a. vertreten mit Benjamin Appl, Regula Mühlemann, Tara Erraught, Lorenzo Viotti, Golda Schultz und Mauro Peter.

Die Auswahl der 70 Künstlerinnen und Künstler ist naturgemäß subjektiv. Es sind zunächst Menschen, die Thomas Voigt (Musikjournalist, Filmemacher und Manager) während seiner journalistischen Arbeit oder seiner Tätigkeit als Medienmanager für Jonas Kaufmann kennenlernte, dazu kamen Vorschläge des Redaktionsteams um Christine Cerletti. Die Sopranistin, Kunstmalerin und Kultur-Mäzenin aus der Schweiz beleuchtet im Beitrag „Musik als Lichtspur in dunklen Zeiten“ u. a. die schwierige Situation der Kulturschaffenden während der Corona-Pandemie. Daran schließt eine Chronik von 1945 bis 2022 an mit sehr punktuell ausgewählten Meilensteinen des Musiktheaters und des Konzerts. Voigt berichtet darüber, woher der erste Impuls für die vorliegende Veröffentlichung kam, durch ein Interview mit Christa Ludwig vor über 30 Jahren für die Zeitschrift Opernwelt, in dem sie über ihre Motivation sprach: „Die Lust am Singen!“. Laut Verlagsinformation entstanden die meisten Texte in Gesprächen von Christine Cerletti und Thomas Voigt mit den KünstlerInnen während der Pandemie 2021/22. Einige (wenige) Beiträge sind von den KünstlerInnen speziell für den vorliegenden Band  verfasst worden. Jedes Kapitel, das Schlüsselerlebnisse und prägende Persönlichkeiten für die Karriere berichtet, enthält jeweils auch eine kurze Vita und ist reich bebildert.
Dazwischen stehen schwarz-weiß Porträts mit Zitaten von „Ikonen“ (S. 22), die in den Interviews erwähnt wurden wie z. B. Enrico Caruso (1873–1921) und Leonard Bernstein (1918–1990).

Uns erwartet keine wissenschaftliche Studie zu Schlüsselerlebnissen und Motivationsaspekten, wer aber die Hauptfaktoren zusammenfassen möchte, kommt zum wenig überraschenden Ergebnis, dass das musikalische Elternhaus und erstes Musizieren als Kind (oft Musikerfamilien) starken Einfluss hat auf die Berufswahl, danach rangieren Berührungen mit Musik in Form von Platten (oder wie z.B. im Fall von Jochen Kowalski, auch Fernsehsendungen) neben einprägsamen Live-Erlebnissen bei großen Opernaufführungen.

Jürgen Kesting, der wichtige deutsche Gesangskritiker, verfasste 1986 mit Die großen Sänger in drei Bänden (erweit. Neuausg. in 4 Bänden 2008) ein Standardwerk zur Geschichte des Gesangs und seiner InterpretInnen im deutschen Sprachraum. Er würdigt in seinem Beitrag „Die trügerische Goldgrube der Erinnerung“ die Bedeutung historischer Audioaufnahmen großer Sängerinnen und Sänger.

Elke Heidenreich, die in den Medien oft präsente bekannte deutsche Autorin und Literaturkritikerin sowie große Musikliebhaberin, schwärmt im Vorwort, wie die KünstlerInnen „uns in diesem Buch in ihre Seele schauen lassen“ (S. 7). Auch wenn das etwas gefühlvoll überhöht klingt, ist es doch durchaus berührend zu lesen, wie die befragten Persönlichkeiten versuchen, das unsagbar unwiderstehlich Anziehende der Musik in Worte zu fassen und sich an einzelne Momente zu erinnern, die den Ausschlag gegeben haben für die professionelle Karriere.

Über den opulent bebilderten Hochglanz-Band als Fundgrube persönlicher Statements und schöner Fotografien freuen sich vor allem Musiktheater-Fans.
Parallel zum Bildband in deutscher Sprache hat der Verlag auch eine englische Ausgabe veröffentlicht, internationales Interesse wird also erwartet.

Barbara Schmidt
München, 07.02.2023

Dieser Beitrag wurde unter Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.