Großmann, Stephanie: Inszenierungsanalyse von Opern. Eine interdisziplinäre Methodik – Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013. – 359 S.: farb. u. s/w Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-8260-4999-6 : € 48,00
Basierend auf ihrer Dissertation am Fachbereich Medienwissenschaft der Universität Passau (2011) führt die Verf. in ihrem Buch eine Vielzahl von Ansätzen zur Opernanalyse aus den Bereichen Literatur-, Medien- und Musikwissenschaft zusammen und nennt das Ergebnis eine „interdisziplinäre Methodik der Inszenierungsanalyse“. Gegenüber der Komplexität des Gegenstandes entscheidet sich die Verf. in ihrem Vorgehen nicht dafür, das Zusammenwirken der drei Zeichensysteme das Libretto, die Musik und die jeweilige Konkretisierung, d.h die tatsächliche Inszenierung auf der Bühne an ausgewählten Opern(-abschnitten) exemplarisch zu untersuchen, sondern sie stellt zunächst ausführlich diese drei Systeme getrennt vor und kombiniert anschließend schrittweise immer zwei der drei Bedeutungsebenen miteinander. Dieses Vorgehen ist für die Autorin enorm komplexitätsreduzierend, aber als Leser bedauert man, dass diese Einzelperspektiven zwar eine Fülle von diversen Einzeleinsichten, aber keine ganzheitliche Sicht auf die vielen analysierten Opern eröffnen. Zudem beschränkt sich die Verfasserin auch nicht darauf, wenige exemplarische Opern(ausschnitte) integral zu untersuchen, sondern wählt für ihre Exemplifizierungen ein erstaunlich umfangreiches Corpus von 60 Opern aus, das ausdrücklich das gesamte Opernschaffen abbilden soll und von Monteverdis Orfeo (1607) bis zu Reimanns Bernarda Albas (2000) reicht. Ob im Fall des Librettos eine mengentheoretische Aufbereitung inhaltlicher Aspekte neue Einsichten beisteuert, bleibt allerdings Geschmackssache (Beispiel: „die Menge ‚Treue‘ stellt eine Teilmenge der Menge ‚Vergessen‘ dar“, S. 53, etc.). Das Kapitel zum Zeichensystem ‚Musik‘ verrät, dass die Verf. ihre Arbeit aus der Perspektive der Medienwissenschaft geschrieben hat: Der Abschnitt über Grundlagen der Musiktheorie referiert weitgehend Basiswissen.
Im zweiten Hauptteil untersucht die Verf. drei paarweise Relationen von Zeichensystemen getrennt voneinander: Libretto und Musik, Libretto und Konkretisierungen, Musik und Konkretisierung. Das in die Konkretisierung integrierte ‚Kulturelle Wissen‘ veranschaulicht sie an Peter Konwitschnys Inszenierung von Verdis Don Carlos, Wien 2004. Über die vielen analysierten Abschnitte aus der Operngeschichte erfährt der Leser an entsprechenden Stellen zwar viel Interessantes, aber immer jeweils zu einzelnen oder kombinierten Zeichensystemen. Dadurch kann es passieren, dass eine Oper wie der Freischütz in unterschiedlichen Kontexten behandelt wird: ‚intermediale Diskrepanzen zwischen Libretto und Musik‘, am Beispiel des Finale des 2. Aktes, im Abschnitt 1.3.2, ebenfalls intermediale Diskrepanzen, nun aber zwischen Libretto und Konkretisierung in zwei Inszenierungen im Abschnitt 2.3. Da ein allgemeines Register fehlt, sind diese und alle weiteren Einzelanalysen einzig über das Inhaltsverzeichnis auffindbar.
Gespannt ist der Leser nach dieser Vielzahl an Einzelperspektiven auf die ‚Totalanalyse‘ im dritten Hauptteil, bei der drei Inszenierungen von Bartóks Herzog Blaubarts Burg vergleichend betrachtet werden sollen. Doch schon die Gliederung lässt erkennen, dass alle drei Inszenierungen nacheinander nach gleichbleibendem Schema abgearbeitet werden: „Das audiovisuelle Material, Statische Zeichen, Bewegte Zeichen, Die Leitfragen“. Auch hier zeigt sich die grundsätzliche Problematik des Buches, additiv aus den unterschiedlichen Disziplinen geeignete Methoden und Ansätze zusammenzufügen, die „für die Analyse von Opern gewinnbringend genutzt werden können“. Hinzu kommt, dass bei der Orientierung am textlinguistischen Zeichenmodell alle zunächst unreflektierten Bewußtseinszustände keine Rolle spielen (Ein weitergefasstes Zeichenkonzept wendet produktiv Ulrike Voltmer an, Semiose des Musikalischen: Zur Rekonstruktion musikalischer Erkenntnis, Saarbrücken und Wien, 2005).
Im Ergebnis kann dieses Buches denn auch nur Bausteine für eine künftige ganzheitliche Methodik der Inszenierungsanalyse liefern. Die gegen Ende artikulierte Idee allerdings, von der vorgelegten „Methodik“ ein ‚präzises‘ Instrumentarium zur Bestimmung der „Adäquatheit einer Opernkonkretisierung in Bezug auf den Gehalt von Libretto und Musik“ (S. 325) zu erwarten, halte ich für kontraproduktiv. Wie sieht die künftige Lebensfähigkeit der Gattung Oper aus, wenn wir uns an das Phantom eines „überzeitlichen Opernwerkes“ klammern?
Hartmut Möller
Stralsund, 30.12.2013