Der Countertenor Jochen Kowalski. Gespräche mit Susanne Stähr. – Berlin: Henschel, 2013. – 192 S.: farb. u. s/w Abb.
ISBN 978-3-89487-930-3 : € 24,95 (geb.)
Schon wieder eine Sängerbiographie, möchte man seufzen, wird aber auf Anhieb positiv überrascht. So ungewöhnlich sein Weg zum Countertenor war, so erfrischend anders sind auch diese autobiographischen Reflexionen des Sängers. Das Buch ist die Essenz mehrerer langer Gespräche mit der Musik-Managerin Susanne Stähr, äußerer Anlass wohl der bevorstehende 60. Geburtstag des Künstlers. Der im märkischen Wachow als Sohn eines Fleischers geborene Jochen Kowalski begann seine Laufbahn eher ungewöhnlich, nämlich als Requisiteur an der Ost-Berliner Staatsoper. Die Begeisterung für die Oper hatte ihn diesen Weg wählen lassen. So konnte er viele praktische Erfahrungen sammeln, wenn auch aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Selbstkritisch und mit viel Humor schildert Kowalski seinen langsamen, aber zielstrebigen Weg nach oben. In der DDR war das Fach des Countertenors praktisch nicht bekannt, also galt er lange Zeit als Exot und Außenseiter.
Nach seinem Debüt bei den Händel-Festspielen in Halle 1982 wird er zwar sofort an die Komische Oper engagiert, die während seiner gesamten Karriere seine künstlerische Heimstätte werden sollte, der Aufbau eines Repertoires war für den jungen Sänger aber schwierig, waren die in Frage kommenden Rollen bis dahin doch eher als „Hosenrollen“ für Mezzosopranistinnen und Altistinnen reserviert. Nach dem großen Erfolg als Händels Giustino kamen bereits Angebote aus der Bundesrepublik, damals noch feindliches Ausland für die DDR. Die erfolgreichen Gastspiele im Westen steigerten natürlich den Marktwert an seinem Stammhaus. Mit dem Gluck’schen Orpheus eroberte sich Kowalski einer seiner Glanzrollen. Seine Popularität wächst auch im Westen, London und schließlich die New Yorker Metropolitan Opera, wo er als Prinz Orlofsky in der Fledermaus erfolgreich auftritt. Gegen Ende der 80er-Jahre wird das Spannungsfeld zwischen der ideologisch erstarrenden DDR und der Bundesrepublik immer bedrückender. Kowalski ist in dieser Zeit ein Wanderer zwischen den Welten, was er in einem eigenen Kapitel sehr anschaulich und reflektiert beschreibt.
Ohne Scheu spricht er auch über eine Stimmkrise, die es in den letzten Jahren zu bewältigen galt, und die altersbedingten Veränderungen des Repertoires. Ehrlich, und wo angebracht auch kritisch äußert er sich über Kollegen und Regisseure. Er vergisst nicht, Dank zu sagen, auch eigene Schwächen einzugestehen.
Es ist ein sehr direktes, handfestes Buch geworden. Da hält Einer nichts zurück, nennt die Dinge beim Namen, und wirkt dadurch absolut glaubwürdig. Eine erfrischende Lektüre, weit entfernt von Selbstbeweihräucherung!
Peter Sommeregger
Berlin, 05.01.2014