Elke Mascha Blankenburg: Dirigentinnen im 20. Jahrhundert. Porträts von Marin Alsop bis Simone Young

Blankenburg, Elke Mascha: Dirigentinnen im 20. Jahrhundert. Porträts von Marin Alsop bis Simone Young. –Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2003. – 307 S.
ISBN 3-434-50536-9 : € 29,50 (geb.)

Elke Mascha Blankenburg, Publizistin, Dirigentin und Gründerin des einzigen deutschen professionellen Frauensymphonieorchesters (Clara Schumann Orchester Köln), geht in diesem Buch der Frage nach, ob Dirigieren tatsächlich nur ein männlicher Beruf ist. Warum sind Dirigentinnen heute immer noch kaum präsent im öffentlichen Musikleben? Beschämt stellt die in der Musikszene nicht ganz unerfahrene Rezensentin fest, dass sie von den achtzig Portraitierten nur eine Handvoll Namen kennt. Da wäre natürlich die Autorin selber, Nadia Boulenger, Alicija Mounk, Romely Pfund- und, seit dem Festkonzert am 3. Oktober 2003 zum Tag der Deutschen Einheit in der Kölner Philharmonie die junge finnische Dirigentin Susanna Mälkki (übrigens das erste Konzert des WDR-Sinfonieorchesters, das von einer Frau dirigiert wurde – und nebenbei, ein großer Erfolg war!). Aber das war’s dann auch! Daß ich mich damit in guter (oder auch schlechter) Gesellschaft befinde, erfahre ich in der Einleitung. Im persönlichen Gespräch Blankenburgs mit den Dirigentinnen stellte sie fest, daß die meisten wenig von einander wissen, und dass die wenigsten mehr als fünf Namen nennen [!] konnten.
In einem einleitenden Essay schildert die Verfasserin die speziellen Berufsprobleme von Dirigentinnen. Dabei kommen verschiedene Dirigentinnen mit einschlägigen Erinnerungen zu Wort, und auch Blankenburg selbst schildert, welche Demütigungen sie im Sommer 1973 während des Musikfestivals „Carinthischer Sommer“ in Ossiach-Villach als einzige weibliche Teilnehmerin eines Dirigier-Meisterkurses bei Hans Swarowsky zu erleiden hatte, bis sie schließlich vom Meister doch noch nach Abschluss des Kurses zertifiziert wurde, dass sie „es verstand, ein Orchester von Männern autoritativ zu leiten“ (S. 28). Fassungslos liest man auch, dass Gisela Jahn (1923-2000), als sie für die Spielzeit 1963/64 die musikalische Leitung der Kleinen Oper am Kreuzberg Berlin übernahm, einen Vertrag unterzeichnete, dessen § 12 lautete: “Weibliche Mitglieder sind verpflichtet, die in der weiblichen Natur begründeten regelmäßigen Störungen der Bühnenleitung spätestens sechs Tage vor dem Beginn derjenigen Woche zu melden, in der die Störungen zu erwarten sind.“ (S. 126)
Der Einleitung folgen zwei große alphabetisch geordnete Kapitel: 500 Dirigentinnen hat Blankenburg in zweijähriger Recherche erfasst. Von ihren ursprünglichen Auswahlkriterien, öffentliche Präsenz eine Dirigentin, d.h. die Ausübung ihres Berufes sowie ein abgeschlossenes Kapellmeisterstudium, ist Blankenburg abgewichen, da die Erfahrung zeigte, dass viele bekannte Dirigentinnen weder ein Dirigierexamen noch ein Dirigierstudium absolviert haben. Aufgenommen hat sie im ersten Kapitel 43 internationale Dirigentinnen mit ausführlichen Porträts, darunter viele Preisträgerinnen, und im zweiten 36 mit Kurzbiographien im Umfang von je einer knappen Seite. Leider werden ausführliche Zitate des Einleitungskapitels in den einzelnen Kapiteln häufig wiederholt. Überhaupt scheint die Form der Veröffentlichung das Problem des Buches zu sein, weder der ausführliche Teil noch der mit den Kurzbiographien kann von der Form her überzeugen. Eine solch große Material- und Datenfülle kann man kaum in Prosa kleiden.
Im Anhang werden vorhandene CD-Produktionen der besprochenen Dirigentinnen sowie Werke, die durch sie uraufgeführt wurden, aufgelistet.
Eine tabellarische Auflistung und die bei Lexika übliche Spaltenform hätten der Übersichtlichkeit sicher genutzt. Dennoch ist das Buch gerade wegen der Materialfülle und seiner Einzigartigkeit ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Musikbibliothek.

Dem Verlag scheint das nicht so bewusst zu sein; auf die Bestellung eines Rezensionsexemplares folgte erst einmal die Rückfrage, was FORUM MUSIKBIBLIOTHEK denn sei. Die Antwort war anscheinend nicht befriedigend, denn auch nach zweimaligen weiteren Nachhaken kam nichts, und erst der Intervention der Buchautorin ist zu verdanken, dass ihr Werk nun dort noch der dafür prädestinierten Zielgruppe vorgestellt werden kann.

Jutta Lambrecht
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 24 (2003), Heft 4

 

Dieser Beitrag wurde unter Alsop, Marin (*1956), Blankenburg, Elke Mascha (1943-2013), Dirigentin, Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.