Englund, Axel: Still Songs. Music In and Around the Poetry of Paul Celan. – Farnham/Burlington: Ashgate, 2012. – 239 S.
ISBN 978-1-4094-2262-4 : ca. € 73,00 (geb.); auch als e-book erhält.
Axel Englund verfolgt eine Mission. Wer sich auf sein avanciertes Englisch einlässt, kann mit ihm eine spannende Reise in die Grauzonen zwischen Musik und Literatur unternehmen, in die Grenzgebiete zwischen „deutscher“ Kulturtradition einerseits und vermeintlicher Ästhetisierung des Holocaust andererseits. Der Titel ist ausgezeichnet gewählt, hält der Autor, der am Stockholmer Institut für Literaturwissenschaft und Ideen- und Wissenschaftsgeschichte tätig ist, doch genau, was dieser verspricht, nämlich sich mit Musik in und um Celans Poesie eingehend auf der Mikro-, Makro- und Metaebene zu beschäftigen.
Die Lektüre eröffnet einen neuen, interessanten und zugleich kritischen Blick auf Celans „MusikGedichte“ und deren Vertonungen und auf die Celan-Forschung überhaupt. Passagen zur Detailebene einzelner Gedichte – wie Todesfuge, Schlaflied, Saitenspiel, Engführung oder Fadensonnen – und deren Vertonungen – durch Tilo Medek, Erhard Karkoschka, Harrison Birtwistle, Aribert Reimann, Wolfgang Rihm und andere – sind verwoben mit einer kritischen Aufarbeitung der Celan-Rezeption und Celans Positionierung innerhalb der deutschen Kriegs- und Nachkriegspoesie. All das mit dem fokussierenden Blick auf Musik und das Musikalische. Das Spannungsfeld zwischen Volksliedtradition und Postmodernismus zeigt sich dabei mehr als nur einmal in den sechs Kapiteln, die auf der Dissertation Englunds aus dem Jahre 2011 aufbauen. Auch das problematische Verhältnis Celans und anderer – beispielsweise Theodor W. Adornos – zum Liedhaften und „Volkstümlichen“ nach 1945 wird herausgearbeitet. Der Volks(lied)begriff und dessen Auswirkungen auf die deutsche Dichtkultur seit dem späten 18. Jahrhundert sowie dessen Missbrauch durch die Nationalsozialisten werden beispielhaft durch Gedichte wie Nähe der Gräber und Es war Erde in ihnen beleuchtet.
Wer sich für Intermedialität und deren theoretische und methodische Herausforderungen und für die Schnittstellen zwischen Literatur und Musik interessiert, sollte unbedingt (aber nicht nur) die 19 Seiten umfassende Einleitung lesen. Diese bietet einen scharfsinnigen und tiefgehenden Einblick in die Forschungsproblematik und bereitet nicht zuletzt den Begriff der Metapher eingehend vor, auf deren Anwendung viele von Englunds Neuinterpretationen beruhen. Er zieht sich auf der Erklärungs- und Deutungsebene wie ein roter Faden durch Still Songs. Die eingangs erwähnte „Mission“ besteht denn auch in der akribischen Beweisführung der metaphorischen Identifikation von Celans Gedichten mit Musik. Diese gelingt schließlich, da dem Autor eine heute in Schweden nur selten anzutreffende Vertrautheit mit den Nuancen der deutschen Sprache zu bescheinigen ist. Diese ist gepaart mit einem ausgeprägten Interesse an Fragen nach dem „Wie“ und „Warum“ Musik bedeutungsgebend für Sprache als menschlichem und existentiellem Kulturausdruck sein kann.
Ursula Geisler
Lund, 11.11.2012