Horst Weber: „I am not a hero, I am a composer“. Hanns Eisler in Hollywood [Peter Sühring]

Weber, Horst: „I am not a hero, I am a composer“. Hanns Eisler in Hollywood – Hildesheim: Olms 2012. – 536 S.: Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-487-14787-1 : € 48,00 (geb.)

Hiermit hat Horst Weber (ehemals langjähriger Musikdozent an der Folkwang Kunsthochschule) das mit Abstand beste jener Bücher zu Eisler vorgelegt, die anlässlich dessen 50. Todestages bisher erschienen sind. Mit langem Atem und dennoch kurzweilig geschrieben, ist es gesättigt von den Erfahrungen eines halben Lebens als forschender Historiker mit unzähligen Autopsien ferner und naher Quellen, mit Lesen von Briefen, Artikeln und Büchern, analytischem Hören von Musik, staunendem Lesen von Partituren und diskussionsfreudigen Begegnungen mit anderen, über Eisler forschenden Zeitgenossen. Hier wird eine relativ kurze Periode in Eislers Leben, in der sich aber alle Momente seines Schaffens wie in einem Brennpunkt sammeln, hier werden die sieben Jahre in Hollywood (1942–1948) mit Rückblenden und Ausblicken in denkbar größter Detailfülle geschildert, die finsteren Jahre der Flucht aus dem Land der Mörder ins Land des korrupten „Gequatsche“ ernsthaft aber nicht ohne Ironie bedacht. Weber ist Eisler mit großer Orts- und Zeitkenntnis quasi hinterher gereist und hat alle übriggebliebenen Dokumente dieser unfreiwilligen Reise aufgelesen, kombiniert und sich einen dialektischen Reim darauf gemacht. Im Mittelpunkt steht aber nicht das Heldentum des Überlebens, sondern die Musik, die offene und verdeckte Spuren des Überlebenskampfes in sich birgt. Eine Beschreibung der Lebenswege und der Machart der Werke, die auf diesen Wegen zwischen Optimismus und Resignation, zwischen Furcht und Hoffnung entstanden sind, hat sich Weber vorgenommen und mit großer Präzision und Eleganz verwirklicht. Man wähnt sich in einem Film, zu dem Eisler seine displaced music komponiert hat. Es gibt einen Vor- und einen Abspann, es gibt film-stills sowie Szenen mit harten Schnitten und deplatzierten, aber die Situation erhellenden Kommentaren. (Die Aufteilung in direkte, nummerierte und seitenweise gelieferte Fußnoten und kapitelweise nachgereichte Anmerkungen zu Stichworten im Text ist übrigens nicht immer einsichtig.)
Einen Vorgeschmack auf den Stil und die analytische Brillanz in seinen Darstellungen gibt Weber schon mit drei Werkanalysen zu Eislers Vertonungen von Gedichten Mörikes, Shakespeares und Brechts aus der Zeit vor Hollywood, die formale Strenge mit Melancholie verknüpfen. An sie wird später anhand von Filmmusiken zu Verfilmungen von Romanen John Steinbecks angeknüpft, um damit zur eigentlichen Hollywood-Phase überzuleiten. Man ist zunächst ganz verblüfft darüber, mit welch offenen Armen Eisler an der Ostküste der USA von einer intakten Arbeiterbewegung empfangen und auf kulturellen Massenveranstaltungen gefeiert wurde, um dann (gestützt auf den Rest seines Stipendiums der Rockefeller-Foundation für sein Filmmusik-Projekt) seine gefährliche Reise von New York aus gen Westen in die Wüste Kaliforniens anzutreten, um eventuell auf dem Hollywooder Markt, wo Lügen verkauft werden, als Komponist von anspruchsvoller Filmmusik überleben zu können. Aber zu welchen Filmen? Eisler kommt zwar in eine illustre, ihm ziemlich vertraute Gesellschaft aus alten, resp. ehemaligen Freunden, wie „seinem“ Dichter Brecht oder seinem Wiener Lehrer Schönberg, aber auch in die Nähe von Th. W. Adorno und Thomas Mann, die bald ihre eigenen dämonischen Legenden von deutscher Zukunftsmusik spinnen werden. Immerhin hat er in Adorno einen ihm zur Seite stehenden Kritiker der Kulturindustrie und der affirmativen Filmmusik.
Aber die Produzenten und Regisseure halten sich gegenüber Eisler bedeckt. Schließlich kommen ihm die kriegerischen Zeitläufte zu Hilfe, und Anti-Nazi-Propagandafilme erfreuten sich auch in Hollywood einer stärkeren finanziellen Unterstützung. Und so kommt Eisler erst nach dem Attentat auf den Protektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, zu seinem ersten Auftrag für Fritz Langs Hangman also die, um nach einem weiteren Jahr der Depression sieben weitere Filmmusikaufträge zu erhalten, die bis in die Zeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs hineinreichen. Sie erreichen in der Musik zu Jean Renoirs The Woman on the Beach ihren künstlerischen Höhepunkt. Für zwei seiner Filmmusiken wird Eisler sogar für einen Oscar nominiert, auch dies sollte man nicht vergessen. Aber nach Ausbruch des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion und ihre Satelliten beginnt eine Hetzkampagne gegen ihn, die in seinem Verhör vor dem Komitee gegen „unamerikanische Umtriebe“ und seiner Ausweisung kulminiert. Die damalige US-amerikanische Regierung hatte gemerkt, dass sie in Eisler keinen „nützlichen Idioten“im Kampf gegen Hitler, sondern einen eigenständigen linken Kopf im Land hatte, der nicht nur einfach nur „Danke“ für seine Rettung sagte.
Nachzulesen bei Weber: Bericht über Eislers Versuch, zusammen mit Adorno als Koautoren ein theoretisches Buch über Filmmusik zu schreiben, Analysen aller Hollywood-Filmmusiken Eislers nebst solchen von elegischen Hollywood-Liedern nach Hölderlin und der 3. Klaviersonate, die Protokolle der Vernehmungen vor dem McCarthy-Tribunal (hier erfährt man auf 120 Seiten erstmals sehr viel Genaueres als bisher), zusammen mit jeder Menge sarkastischer privater Begleitmusik. Alles zusammen macht das Buch zu einer Fundgrube von Zeugnissen menschlicher Haltungen in finsteren Zeiten, die eines großen Künstlers zumal, der der Niedertracht der Mächtigen nicht etwa mit einer „marxistischen Ästhetik“ (auch eine solche war Eisler letztlich noch zu metaphysisch), sondern mit einer musikalischen Poetik des menschlichen Widerstands zu begegnen wusste.

Peter Sühring
Berlin, 01.11.2012

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