Christian Lehmann: Der genetische Notenschlüssel. Warum Musik zum Menschsein gehört

Lehmann, Christian: Der genetische Notenschlüssel. Warum Musik zum Menschsein gehört. – München: Herbig, 2010. – 254. S.: s/w-Abb.
ISBN 978-3-7766-2646-9 : € 19,95 (geb.)

Musik bewegt uns, sie geht unter die Haut, bringt uns zum Weinen und löst Gänsehaut aus. Warum Menschen Musik machen und was dabei geschieht, sind Fragestellungen, denen Autoren wie Manfred Spitzer und Detlev Altenmüller in den letzten Jahren nachgegangen sind. Der Musikwissenschaftler, Biologe und Sänger Christian Lehmann erweitert das Wissen um den musizierenden Menschen nun um den evolutionsgeschichtlichen Aspekt. Musik steckt uns in den Genen, lautet die zentrale These seines unterhaltsam geschriebenen Buchs, und die Begabung zum Gesang gehöre zur „Grundausstattung“ (S. 230) des Menschen.
Auf der Suche nach dem Homo Musicus nimmt Lehmann seine Leserinnen mit auf eine Reise durch die Evolutions- und Kulturgeschichte der Menschheit, die durch verschiedenste musikalische Gefilde führt und viel Stoff zu Entstehung und Zweck musikalischer Betätigung bietet: Vom Stellenwert der Musik in der Antike über den Gesang der Buckelwale bis zum therapeutischen Nutzen der Töne reicht der Streifzug, der viel Interessantes und Erstaunliches zutage fördert. Wer weiß schon, dass Grönländer ihre Streitfälle durch Rap-Duelle lösten und Menschen die einzigen Lebewesen sind, die sich synchron bewegen können – eine Fähigkeit, die in Fußballstadien und Popkonzerten innerhalb kürzester Zeit augenfällig wird? Die Vielfalt der Themen ist eindrucksvoll, und der Autor verdeutlicht sie mit anschaulichen Beispielen. Gelegentlich benutzt er dafür auch fiktive Szenen. So malt er zum Beispiel eine Interaktion zwischen einer Mutter und ihrem Baby aus, wie sie vor Jahrtausenden ausgesehen haben mag. Ob solche Szenen nicht etwas zu klischeehaft geraten sind, mag dahingestellt sein.
Gelegentlich entführt Lehmann seine Leserinnen bei seinen Streifzügen durch die menschliche Evolutionsgeschichte auch auf Seitenpfade, so dass man innehalten muss, um wieder zurück zum Hauptpfad zu finden. Nicht zuletzt deshalb wäre ein Register hilfreich, das das Auffinden von Begriffen und Fakten erleichtert. Wünschenswert wäre manchmal auch das Einbeziehen aktuellerer Literatur gewesen. Wenn der Autor zum Beispiel die Unwirksamkeit von Musik- und Psychotherapie mit einer Literaturangabe aus dem Jahr 1986 belegt, gilt das heute als überholt.
Gleichwohl ist das Buch einem breiten Leserkreis zu empfehlen. Allgemein an Musik Interessierten eröffnet es ein komplexes Themenfeld, indem es einen weiten Bogen von der Verhaltensforschung bis zur Musikgeschichte spannt und die verschiedenen Fachgebiete geschickt verknüpft. Für Fachleute wie Musikpädagogen und Sänger hält es darüber hinaus interessante Hintergrundinformationen bereit.

Friedegard Hürter
zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S.

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