Loch, Siggi: Plattenboss aus Leidenschaft. – Hamburg: Edel, 2010. – 271 S.: zahlr. s/w-Fotos
ISBN 978-3-941378-81-0 : € 26,95 (geb.)
Geht es um die Misere in der Musikwirtschaft, werden gerne Klischees strapaziert. Schuld sind wahlweise massenhaft und illegal Songs aus dem Netz saugende Musikfans, gierige Künstler oder zahlengesteuerte und damit unfähige Plattenbosse. Vor allem Branchenvertreter kriegen des Öfteren ihre Portion Fett ab, und es gibt wahrhaftig einige Gründe, wegen der man bei der aktuellen Lage in Trübsinn verfallen könnte. Zu unbeweglich, zu konservativ, die Augen fest auf die Bilanzen gerichtet, während die Ohren langsam ertauben. „Totengräber aller Träume“ nennt Siggi Loch diese buchhalterisch geprägten Manager in den Chefsesseln (S. 55). Bravo!… möchte man ausrufen; wer immer dieser Loch sein möge, Recht hat er! Und wer ist nun der Rufer in der Wüste? Siggi Loch ist kein kritischer Musikjournalist, Underground-Blogger oder Notenaktivist – der Mann, dessen Autobiografie hier vorliegt, kennt die Branche seit über fünfzig Jahren, war Teil davon, stand an ihrer Spitze und wurde wegen seiner Verdienste um sie vom schwedischen König zum Ritter geschlagen. Und schlussendlich gelingt es Loch mit seinen Erinnerungen, das Bild von der Musikwirtschaft als Hort alles Bösen zu relativieren. Solche Schattierungen wären in mancher aktuellen Diskussion über Downloads und Urheberschutz nicht fehl am Platze.
Der 1940 in Pommern geborene Loch begann seine Karriere 1960 bei EMI-Electrola, wechselte wenig später zu Philips, wurde Gründungsgeschäftsführer der WEA, später deren Europa-Präsident. 1992 schließlich nahm er das Ruder selbst in die Hand und gründete, seiner musikalischen Leidenschaft folgend, das Jazz-Label ACT. Diesen Weg beschreibt Loch detailliert, würzt seinen Text ausgiebig mit prominenten Namen, legt die obligatorischen Beweisfotos (mit den Stones, Rod Stewart, Eagles, George Harrison u. v. m.) bei und streut hier und da eine leicht anzügliche Anekdote ein. Nichts weiter also als ein zu erwartender nostalgisch gefärbter und zu Eigenlob neigender Blick zurück? Nein, Siggi Loch schmückt sich nicht mit großen Namen, er führt sie auf, weil sie dazu gehören; wenn er sein damaliges Gehalt offenlegt, protzt er nicht mit der ansehnlichen Summe. Selbstkritisch erwähnt er auch Fehlentscheidungen. Und durch alle Passagen zieht sich die enge Bindung zur Musik: Die Achtung vor gut produzierter und kommerziell erfolgreicher Schlagermusik ebenso wie die Liebe zum Jazz. In diesem Metier findet Loch schließlich seine Erfüllung, muss aber auch den Tod seines Freundes Esbjörn Svensson (1964–2008) verkraften, der auf ergreifende Weise im letzten Kapitel geschildert wird.
Natürlich geht es im Musikbusiness auch um Profit. Die Reduktion auf den seelenlosen Geldscheffler an der Spitze aber wird der Leidenschaft nicht gerecht, die es überall in der Branche gibt. So kann man Lochs Autobiografie auch als Mahnung verstehen, diese wieder zu entdecken oder neu zu entfachen.
Michael Stapper
zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 204f.