Assmann, Jan: Die Zauberflöte. Oper und Mysterium – München, Wien : Hanser, 2005. – 383 S.: Ill., Notenbeisp.
ISBN 3-446-20673-6: € 24,90 (geb.)
Die Zauberflöte ist unbestritten Mozarts populärste Oper – obwohl die Handlung die größten Rätsel aufgibt und eine Reihe von inneren Widersprüchen enthält. So wandelt sich die Königin der Nacht im Verlaufe der Oper von einer guten Fee zur bösen Zauberin, der angeblich so edelmütige Sarastro dagegen beschäftigt in seinem Reich Sklaven. Mozarts Musik war stets über allen Zweifel erhaben, die literarische Qualität des Stücks dagegen nicht. Gerade unsere Zeit tut sich mit Text und Inhalt der Zauberflöte oft schwer. Wolfgang Hildesheimer hielt sie für maßlos überschätzt und ein Buchtitel stellte gar die Frage Ist die Zauberflöte ein Machwerk? (München 1985). Die Oper als Ganzes changiert eigentümlich zwischen Märchen und Mysterium, Kinderzauberoper und Bühnenweihfestspiel.
Kaum eine Inszenierung schafft es, alle Aspekte sinnvoll zu integrieren. Auffällig ist, dass Mozarts Zeitgenossen mit den Widersprüchlichkeiten offensichtlich keine Probleme hatten. Beethoven, Hegel, Herder und Goethe gehörten zu den großen Bewunderern der Oper. Goethe schrieb sogar eine Fortsetzung, die allerdings Fragment blieb, und entwarf Kostüme und Bühnenbilder. Demnach scheint das 18. Jh. über einen anderen Zugang zu dem Werk verfügt zu haben, der uns heute verschlossen ist.
Genau hier hakt das Buch von Jan Assmann ein. Der Autor kommt nicht von der Musik her, sondern ist Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg. 1998 erhielt er den Deutschen Historikerpreis. Der Autor schildert uns Szene für Szene der Oper in der Absicht, sie mit den „Augen des 18. Jahrhunderts“ verständlich zu machen. In Zwischenkapiteln beleuchtet er ihr geistiges Umfeld und ihren kulturellen Kontext: das Ägyptenbild der Zauberflöte, die Freimaurerei als der offensichtlichste ihrer geistigen Nährböden und die Vorstellung der damaligen Zeit von den antiken Mysterien.
Assmanns Verständnis der Oper sieht die Zauberflöte demnach nicht als mehr oder weniger gelungene Verbindung von Märchen und Mysterium, sondern interpretiert sie in toto als Mysterienspiel. Die Zauberflöte bringt ein Ritual auf die Bühne und lässt es nicht nur vor dem Zuschauer ablaufen, sondern bezieht diesen auf subtile Weise in das Ritualgeschehen ein. Die Priester führen eine symbolische Handlung auf, die darauf angelegt ist, die Initianden, zu denen außer Tamino, Pamina und Papageno auch wir gehören, durch wechselnde Bilder zu beeindrucken und einem Wechselbad der Gefühle, Werturteile und Neuorientierungen auszusetzen. Es geht vor allem um den Prozess einer Verwandlung, die zur geistigen Vervollkommnung führen soll. Wir dürfen daher nicht fragen, wer und wie die Königin der Nacht ist, sondern wie sie erscheint. Sie wird uns einmal so und einmal anders gezeigt, weil wir mit Tamino zusammen einen Perspektivenwechsel vollziehen sollen.
Der Rahmen, der als ein Spiel im Spiel aufgefasst werden muss, wird immer wieder in Richtung auf eine Sphäre höheren Ernstes überschritten, aus der die Protagonisten ihre Weisheiten empfangen: über Liebe, Zufriedenheit, Menschenglück, die Bedeutung von Mann und Frau und anderes mehr, bis der Vorhang des Spiels im Spiel aufgeht und wir zusammen mit Tamino und Pamina einen Blick ins Heiligtum des größten Lichts werfen, in das sich nach der Bühnenanweisung das Theater verwandelt.
Diese Ritualstruktur der Zauberflöte war für das Zeitalter Mozarts mit seiner Vorliebe für Geheimbünde und seinem Wissen um esoterische Erscheinungen und antike Mysterienkulte leicht zu dechiffrieren. Eine Reihe von Widersprüchen löst sich bei dieser Umpolung unserer Sichtweise auf.
Das Ritual der Zauberflöte wird aber zugleich unterlegt mit einem doppelten Boden in Gestalt der Papagenowelt, die dem Werk dieses Schwanken zwischen Mysterium und Kinderzauberoper verleiht. Dieser Strang der Handlung wurzelt in einer ganz anderen Tradition: in der Tradition des Wiener Volkstheaters. Diese beiden Inspirationsquellen und Einflusssphären – die hochintellektuelle Wiener Freimaurerei mit ihrer Mysterienforschung und das derbe Wiener Volkstheater mit seinen Maschinen und Spezialeffekten – scheinen auf den ersten Blick wenig gemeinsam zu haben. Sie treffen sich jedoch nach Assmanns Verständnis in der religionsgeschichtlichen Konzeption der religio duplex, der doppelten Religion: hier die Theologie der Elite, dort die Volksreligion der Massen. Mozart und Schikaneder aber gehen über diese Doppelstruktur hinaus. Durch Papagenos ständige Parodie des Rituals, das gleichberechtigt neben dem Ritual selbst steht, überwinden sie den allzu einseitigen Dualismus des freimaurerischen Weltbilds: Weisheit und Einfalt sind demnach durchaus in Freundschaft verbindbar. So gewinnt die Oper nach Assmann „durch die Einbeziehung des Volks und seiner Lachkultur in die heiligen Vorgänge“ die Dimensionen des Welttheaters.
Es ist keine einfache Kost, die der Autor dem Leser zumutet. Doch hat man sich erst einmal darauf eingelassen, werden Augen und Ohren für das Werk tatsächlich neu geöffnet, wie der Klappentext es verspricht. Es ist durchaus vorstellbar, dass der intellektuelle Gewinn, den man aus dem Buch schöpft, auch einen anderen emotionalen Zugang zur Zauberflöte eröffnet.
Verena Funtenberger
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 431f.