Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kulturgeschichte. Band 17 • 2011 [Peter Sühring]

Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kulturgeschichte. Band 17 • 2011 / Hrsg. für die Mendelssohn-Gesellschaft von Hans-Günter Klein und Christoph Schulte – Hannover: Wehrhahn, 2011. – 301 S.: Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-86525-233-3 : € 29,50 (geb.)

Dieser wie stets der ganzen Familie Mendelssohn gewidmete Band der Mendelssohn-Studien, deren allgemein geisteswissenschaftlich-historischen Teil Christoph Schulte und deren musikalischen Teil der Musikbibliothekar und Mendelssohn-Forscher Hans-Günter Klein redigieren, konzentriert sich in diesem Jahrgang auf Moses Mendelssohn und seine aufklärerischen und ethischen Gedankengänge und seine Beziehungen zu Zeitgenossen, widmet sich aber auch einmal den Kunstanschauungen der Moses-Tochter Dorothea (verh. Schlegel). Fünf mittlere Beiträge befassen sich mit dem familiären, musikalischen und zeichnerischen Erbe von Felix Mendelssohn und sollen hier vorgestellt werden.
Auf 40 Seiten referiert und zitiert Roland Dieter Schmidt-Hensel den bisher nur bruchstückhaft bekannten Briefwechsel innerhalb des Hauses Mendelssohn-Hensel in der Leipziger Str. 3, als die an Masern erkrankte Rebecca Mendelssohn im Vorderhaus unter Quarantäne gestellt werden musste und die beiden Brüder Felix (der gerade aus England zurückgekehrt war und den es schon wieder nach Italien zog) und Paul zur bereits mit Wilhelm Hensel verheirateten Schwester Fanny ins Hinterhaus ziehen mussten und dennoch ebenfalls von den Masern ereilt wurden. Dieser Briefwechsel innerhalb des Hauses gewährt einen zwar literarisch stilisierten, aber doch authentischen Einblick in das von Humor und liebevollem Spott geprägte Geschwisterverhältnis unter den vier Mendelssohn-Kindern, in das sich die etwas ernsteren Töne der Mutter Lea und des Vaters Abraham mischen und sich die kleinen Interventionen von Hensel noch am ehesten in die zu Scherzen aufgelegte Stimmung einfügen. Über musikalische Vorlieben hinaus gewähren die in diesen Briefen gemachten Mitteilungen einen lebendigen Einblick in das kulturelle Berlin um 1830 und wer sich mit wem wann worüber unterhielt.
Von ganz anderem Kaliber ist der streng philologische Beitrag von Christine Baur, der sich mit dem brisanten Phänomen befasst, dass sich von dem 1823 komponierten E-Dur-Konzert für zwei Klaviere ein bisher unbeachteter Satz mit Aufführungsmaterial im Nachlass Carl Loewes fand, mit dem Mendelssohn das Konzert 1827 in Stettin aufgeführt hatte. Die autographe Original-Partitur dieses Konzerts ist nur in einer von Mendelssohn selbst stark überarbeiteten späteren Fassung im Berliner Nachlass überliefert, die die ursprüngliche Version zum Teil gar nicht mehr erkennen lässt. Das Stettiner Aufführungsmaterial hingegen wurde von der Fassung vor der Überarbeitung genommen, so daß nun über diesen Umweg die frühere Gestalt des Konzerts an nicht unwichtigen Stellen rekonstruiert werden kann. Ein wahrhaft sensationeller (Fund kann man gar nicht sagen, sondern:) Weg der Wiederherstellung einer für immer verloren geglaubten Schicht eines Mendelssohn-Werkes.
In den Magazinen der Galerie des Courtland Institute of Art in London liegen Zeichnungen Mendelssohns, die er während einer Rheinreise im Jahr 1837 anfertigte. Sie werden von Peter Ward Jones vorgestellt. Die Bibliothekarinnen Kerstin Sieblist und Barbara Wiermann beschreiben den Kampf Mendelssohns um die Gründung des Leipziger Konservatoriums und seine Eingabe an den sächsischen König zur sozialen Besserstellung der Musiker des Gewandhauses. Zwei Dokumente, die auf einer Auktion bei Sotheby’s für Leipziger Bibliotheken erworben werden konnten, ermöglichten diesen Beitrag. Das spannungsreiche und wechselhafte Verhältnis zwischen Mendelssohns Musik und der der Franzosen belichtet Wolfgang Rathert. Sein Beitrag thematisiert auch bisher unbekannte oder vernachlässigte Verzweigungen. Mendelssohns eigene Erfahrungen mit Musik aus und in Frankreich waren, zwischen den Eindrücken des ihm sympathischen Cherubini und des ihn verstörenden Berlioz, ambivalent geblieben. Er hatte aber später in Frankreich neben der Strömung des wagnerisme viele Anhänger und Kollegen, die in seinem Geiste elegant und klar (also auf eine nicht so sehr von subjektivem Ausdruckswillen und außermusikalischen Programmen diktierte Weise) komponierten, wie Charles Alkan, Caesar Franck, George Bizet und Saint-Saëns. In diesem Band gibt es also für die Mendelssohn-Forschung wieder große Ausbeute.

Peter Sühring
Berlin, 29.11.2011

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