Beier, Brigitte und Karina Schmidt: Hier spielt die Musik. Tonangebende Frauen in der Klassikszene. – Berlin: Aviva-Verlag, 2011. – 240 S.: 70 s/w Fotos
ISBN 978-3-932338-49-6 : € 23,80 (geb.)
Es sind die klassischen W-Fragen, die die beiden Autorinnen (studierte Germanistinnen) 20 Künstlerinnen unterschiedlichster Provenienz gestellt haben: was waren Ihre prägenden Erlebnisse in der frühen Kindheit, wie sah der Weg zur Berufsmusikerin aus, welche Lehrer haben den wichtigsten Einfluss gehabt, wie vereinbaren Sie Ihren aufreibenden Beruf mit dem Privatleben, was war Ihnen bislang wertvoll, und welche Leitvorstellungen möchten Sie in Zukunft umsetzen? Herausgekommen ist dabei ein fassettenreiches Bild weiblicher Präsenz in der Welt der klassischen Musik, das nicht zuletzt der klugen Auswahl der Porträts zu verdanken ist, die hier zusammengestellt sind. Es wurden Musikerinnen in persönlichen Gesprächen befragt, wobei darauf geachtet wurde, eine möglichst breite Streuung in Bezug auf Instrument, Lebensalter und Genre (Alte Musik, zeitgenössische Musik) zu erreichen.
Die Lebensentwürfe der porträtierten Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein: es gibt solche, die sich ausschließlich auf ihre Solistenkarriere konzentrieren und solche, die ihr anstrengendes internationales Künstlertum mit einem Familienleben und kleinen Kindern in Einklang zu bringen suchen. Es sind Orchestermusikerinnen ebenso vertreten wie freischaffende Künstlerinnen, die ganz bewusst nur in Projekten arbeiten, weil sie sich nicht auf eine Richtung festlegen lassen möchten und wiederum andere, die sich der Nachwuchsförderung und dem Unterricht an Hochschulen verschrieben haben. Auch eine Dirigentin und eine Schlagzeugerin kommen zu Wort. Sofia Gubaidulina – mit ihren 80 Lebensjahren die älteste Künstlerin und als Komponistin die einzige genuin schöpferische Musikerin in diesem Rahmen – schaut auf ihren Werdegang zurück, während die anderen Frauen mitten im Prozess stecken bzw. noch ganz am Anfang stehen. Alle Frauen jedoch eint eine außergewöhnlich starke Begabung, immenser Fleiß, Durchsetzungsvermögen und Enthusiasmus, um ihren Weg konsequent weiterzuverfolgen.
Es fällt auf, dass es sich ausschließlich um Frauen handelt, die aus Europa stammen bzw. hier ihrer Profession nachgehen. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass den Autorinnen, denen sehr viel an Authentizität und persönlicher Begegnung lag, der logistische Aufwand für ein umfassenderes Projekt nicht vertretbar erschien, auch dürfte der Umfang des Bandes keine geringe Rolle gespielt haben. Dass Sängerinnen ebenfalls fehlen, ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass diese (im Wortsinn) schon sehr viel früher tonangebend waren als ihre Kolleginnen am Instrument. Mir persönlich hätte noch eine Organistin gefehlt (von denen mir spontan gleich einige einfallen), dafür hätte ich gerne auf die allgegenwärtige Anne-Sophie Mutter verzichtet, die – weiß Gott – seit Jahrzehnten in den Medien ausführlich präsentiert und interviewt wird. Die Porträts sprühen vor Lebendigkeit, es geht in erster Linie um den Menschen und sein Umfeld und weniger um stilistische oder interpretatorische Fragen. Die Tatsache, dass die beiden Autorinnen nicht aus der Musikszene kommen, zeigt sich hier als Vorteil, denn der Blick ist unverstellt und nicht von gängigen Klischeevorstellungen oder in Konzertkritiken abgenutzten Floskeln geprägt. Als Lese- und Geschenkbuch bestens geeignet!
Porträtiert werden neben den bereits Genannten Karen Kamensek (Dirigentin), Charlotte Balzereit-Zell (Harfe), Rachel Harris (Barockgeige), Marie-Elisabeth Hecker (Cello), Katharina von Held (Kontrabass), Maja Helmes (Trompete), Gudrun Hinze (Piccoloflöte), Patricia Kopatchinskaja (Sologeige), Franziska Kober (Kontrabass), Jana Kuss (Geige im Streichquartett), Elisabeth Leonskaja (Klavier), Sabine Meyer (Klarinette), Rumi Ogawa (Schlagzeug), Alice Sara Ott (Klavier), Hille Perl (Gambe), Christina Pluhar (Laute, Theorbe), Carolin Widmann (Sologeige), Sarah Willis (Horn) und Tabea Zimmermann (Bratsche).
Claudia Niebel
Stuttgart, 28.10.2011