Singer, Lea: Der Opernheld. Roman. – Hamburg: Hoffmann und Campe, 2011. – 384 S.
ISBN 978-3-455-40329-9 : € 22,00 (geb.)
Der neue Roman von Lea Singer (Pseudonym für die Kulturwissenschaftlerin Eva Gesine Baur) ist ein turbulentes „Roadmovie“ über einen biederen Anwalt aus der süddeutschen Provinz, der durch ein unerwartetes Ereignis in seiner Biographie ebenso plötzlich wie unheilbar vom Opernfieber gepackt wird. Aus Moritz Redder wird kurzerhand Maurizio Salvatore, der sich – ausgestattet mit Enthusiasmus und dicker Brieftasche – nach Italien aufmacht, ins Heimatland der Oper. Das „gelobte Land“ jedoch erweist sich als reichlich widerborstig, und Maurizio gerät zunehmend in einen Strudel aus irrwitzigen Situationen. Pendelnd zwischen Tragik und Komik verliebt er sich in jede Frau, die ihm zufällig über den Weg läuft. Natürlich erkennt er in jeder von ihnen eine Hauptrolle aus seinen Lieblingsopern, doch die angebeteten Operndiven machen sich über Maurizios feurigen, mitunter handfesten Einsatz eher lustig und geben meist dem schnöden Mammon in Gestalt reicher Schlipsträger im Sportwagen den Vorzug…
Staunend verfolgt man, wie den Helden auf seiner unbeirrbaren Quest nach dem Idealen nicht einmal die seichte Realität des heutigen Italiens, die sich seinem Traum so gar nicht fügen mag, vom eingeschlagenen Weg abzubringen vermag. Eine Pleite nach der anderen erlebt der frisch gebackene Aficionado, mit hartnäckiger Realitätsverweigerung und einer gehörigen Portion Fatalismus steckt er einen Rückschlag nach dem anderen ein und verliert dabei nicht nur viel Geld. Als die Handlung fast in klamaukigem Desaster steckenzubleiben droht, schlägt das Buch plötzlich um in eine spannende, rabenschwarze Auseinandersetzung mit der vermutlich für jeden Nicht-Italiener unergründlichen Frage, wie eigentlich Italien als Wiege der europäischen Kultur und Mutterland der Oper durch seichte TV-Dauerberieselung eines mächtigen Medienmoguls, Vetternwirtschaft und mafiöse Strukturen derart auf den Hund kommen konnte. In den unzähligen platten und phantasielosen TV-Shows mit leicht geschürzten Damen und nur auf Kommerz zielender Ausrichtung erkennt die Autorin sehr hellsichtig eine krasse Gegenwelt zur Oper mit ihren ungezähmten Leidenschaften: „Wo die Phantasie in Beton eingegossen worden war, wuchs der Wunsch nach Oper niemals mehr.“ (S. 291)
Schon zu Beginn des Buches erfährt der Leser, dass Maurizios Reise nach Phantasien nicht gut ausgehen wird: Er landet schließlich in einer psychiatrischen Anstalt, nachdem er in Rom eine (vermeintliche) Tosca vor einem (vermeintlichen) Scarpa retten wollte… Doch am Ende sagt der mittlerweile um vieles weiser gewordene Opernheld einen klugen Satz über seine Wahlheimat: „Dieses Land ist so sehr Oper, dass die Oper dagegen unwirklich erscheint.“ (S. 350). Und natürlich passiert am Schluss noch etwas ganz Unerwartetes, als – – – doch das wird hier nicht verraten, um dem Leser nicht die Pointe eines durchaus lesenswerten Buches zu vermasseln.
Stefanie Steiner
Karlsruhe, 04.09.2011