Adorno, Theodor W. und Hanns Eisler: Komposition für den Film. – Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2006. – 190 S.: Notenbsp., mit DVD (vier Filme aus Eislers Rockefeller-Filmmusik-Project)
ISBN 3-518-58461-8 : € 29,80 (geb.)
Der verworrenen Publikationsgeschichte des Filmmusik-Buchs von Adorno und Eisler im deutschsprachigen Original wird nun die ultimative Edition entgegengestellt, in der die beiden ungenügenden Fassungen (Berlin 1949, in der Eisler ohne Zustimmung des Koautors Änderungen im Geiste der sowjetischen Kunstdoktrin vornahm, und München 1968, in die Adorno die nach der amerikanischen Erstpublikation besprochenen Änderungen nicht übernahm) endlich berichtigt und erweitert werden. Die zwischen beiden Autoren vereinbarten Änderungen haben nun aus deren Nachlässen Eingang in die endgültige Druckfassung gefunden. Außerdem zeigt der wiedergegebene Entwurf Adornos zu diesem Buch, welches sein musikästhetischer und kulturkritischer Anteil an der Gesamtpublikation ist. So erweist sich dieses zusammen mit Eisler projektierte und formulierte Buch als ein gemeinsam unternommenes Exempel auf die im Jahr 1944 ganz frischen Thesen zur „Kulturindustrie“ aus Horkheimers und Adornos Philosophischen Fragmenten zu einer „Dialektik der Aufklärung“. Das Hirngespinst einer totalen Manipulation der Individuen durch die auch damals schon „neue Medien“ genannten Phänomene des Massenkinos und des Fernsehens grassiert auch in dieser Schrift, ebenso wie das zweifelhafte Gegenbild einer von Zwängen „befreiten“ Filmmusik, wie Eisler sie geschaffen haben soll. Die schlichte Wahrheit, daß hochwertige Kunst immer im Widerstand gegen historisch gewachsene Konventionen entsteht, ohne diese ganz hinter sich lassen zu können, bedarf zweierlei Übertreibungen nicht: Weder läßt sich alles manipulieren noch ist der autonome Künstler völlig frei.
Auffällig ist, daß Eisler im Widerstand gegen die Kapitalverwertungszwänge in Hollywood freier komponierte als in seiner Gebrauchsmusik für die Interessen des leninistischen Flügels der Arbeiterbewegung. Diese Tatsache wird durch die eigentliche Sensation dieser Publikation belegt, nämlich die beigelegte DVD, auf der vier Filmprojekte der Jahre 1940/41 mit Eislerscher Musik dokumentiert sind. Drei unterschiedliche Fassungen des Films White Flood, dann die in den Verleih gekommene wie die rekonstruierte Originalfassung von Joseph Loseys Film A child went forth. Erstmals wird eine historische Aufnahme des Quintetts Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben dem Zwölfminutenfilm Regen von Joris Ivens als Tonspur hinzugefügt, zu dem diese Musik tatsächlich komponiert wurde. Für einen 6minütigen Ausschnitt aus John Fords The grapes of wrath werden der Verleihfassung mit der Musik von Alfred Newman zwei Alternativmusiken von Eisler gegenüber gestellt. Durch diese DVD-Beigabe werden die Ausführungen Eislers in dem Kapitel: Bericht über das „Film Music Project“ erstmals überhaupt verständlich.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 190ff.