Schweinhardt, Peter: Fluchtpunkt Wien. Hanns Eislers Wiener Arbeiten nach der Rückkehr aus dem Exil. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2006. – 364 S.: Notenbsp. (Eisler-Studien ; 2)
ISBN 978-3-7651-0382-9 : € 38,00 (kt.)
Um Filmmusik als moderner Variante der Schauspielmusik geht es u. a. auch im Buch von Peter Schweinhardt, das als Bd. 2 der von ihm mitherausgegebenen Reihe der Eisler-Studien erschienen ist. Als Remigrant in seiner Heimatstadt Wien versuchte Eisler mit seiner eminenten Musikalität sofort im ungeliebten Alten Europa wieder Fuß zu fassen und sich experimentell in Theater- und Filmprojekten zu engagieren. Schweinhardt beleuchtet eine bisher ziemlich dunkle Wegstrecke in der Biographie und der Werkgeschichte Eislers, denn sie liegt zwischen zwei bekannten Perioden, jener in den ebenfalls ungeliebten USA und jener in den späten Berliner Jahren, die für ihn wegen seiner politischen Naivität (Adorno spricht von „Dummstellung“) eine große Enttäuschung werden sollten. Auch Wien war für ihn zunächst enttäuschend, da er hier in den Jahren 1948–50 keine feste Anstellung fand, weder beim Theater oder Film, noch am Konservatorium. Aber nach dem Desaster seines Faust-Opernprojekts in Berlin im Jahre 1952 zog es ihn, bis der Österreichische Staatsvertrags und der Abzug der Alliierten im Jahre 1955 seine Möglichkeiten abermals verschlechterten, für einige Film- und Theaterprojekte wieder nach Wien, wo er neben den Filmmusiken zu Bel Ami und Gasparone (nach Nestroy) Felsensteins Fidelio-Verfilmung betreute und die Musik zur Verfilmung von Brechts Puntila besorgte. Über die beiden letzten Arbeiten referiert Schweinhardt ausführlich und verfolgt die Arbeitsstadien akribisch, wie auch kein übergreifender Aspekt, beispielsweise Eislers Stellung zu Beethoven oder die Debatten um die Filmmusik innerhalb einer marxistischen Ästhetik der Nachkriegszeit, unberücksichtigt bleibt.
Nicht Eislers Wiener Schauspielmusiken der 1953/54er Jahre zu Jonsons Volpone, Aristophanes’ Lysistrata oder Shakespeares Hamlet, sondern die von 1948 zu Nestroys Höllenangst wird von Schweinhardt einer genaueren Analyse unterzogen. Sie korrespondiert bestens mit der gerade vom gleichen Autor herausgegebenen Partitur im Rahmen der Hanns-Eisler-Gesamtausgabe im selben Verlag. Schweinhardt erklärt nicht nur die große Anziehungskraft, die Nestroy auf Eislers sarkastische Neigungen ausübte und zu welch theatralischer Musik Nestroys Witz ihn veranlaßte, sondern spannt den Bogen auch zu gattungsästhetischen Fragen der Schauspielmusik und zu zeitgeschichtlichen Analogien. Mit dieser als Doktorarbeit entstandenen Studie zu Eislers Wiener Nachkriegsarbeiten hat Schweinhardt dank detaillierter Quellennutzung einen mächtigen Brocken weggewälzt, der bisher wichtige Bestandteile des widersprüchlichen Werks Eislers versperrte und eine nicht angemessene Fixierung auf Berlin und Amerika verursachte.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 190ff.