Die Frau im Dunkeln. Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901–1935 / Chanson-Text-Collage von Evelin Förster. Hörbuch (Doppel-CD) –
Berlin: duo-phon-records, 2009 (Edition Berliner Musenkinder)
ISBN 978-3-937127-15-6 : € 19,90 (140 min.)
Viele vergessene Frauen hat die Chanson-Forscherin und -Sängerin Evelin Förster aus dem Dunkel ins Helle geholt und ihnen ein Hörbuch gewidmet, das erklärende Erzählungen, historische Hördokumente und selbstgesungene Neueinspielungen äußerst geschickt und beeindruckend vereinigt. In der bisherigen Geschichtsschreibung des Chansons waren Frauen bestenfalls als Darstellerinnen bekannt, nun zeigt das von Evelin Förster in mühsamer und von glücklichen Zufällen begleiteter Recherchearbeit aufgebaute Archiv mit ca. 120 Künstlerinnen, wie sehr in Deutschland zwischen der Jahrhundertwende und der Mitte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts Frauen auch als Autorinnen und Komponistinnen an der Entwicklung des Kabarettliedes prägend beteiligt waren. Förster kennt ihre Taten und nennt ihre Namen, konnte sie hinter allerlei Verschwiegenheiten, Verkleidungen und Verstecken (z.B. männlichen Pseudonymen) ausfindig machen und präsentiert aus diesem Fundus in dem jetzt vorliegenden Hörbuch zehn dringend entdeckenswerte Frauen mit ihrem Schicksal, ihren Triumphen und ihren Niederlagen.
Als die Frauen das Korsett abstreiften, begann nicht nur ihre körperliche, sondern auch die geistige Befreiung, und das von Claire Waldoff besungene „moderne Mädel“ fing an, sich außerhalb des trauten Heims, in das man es einsperren wollte, die Welt zu erobern und männlichen Hochmut zu desavouieren. Und so sind in diesen kabarettistisch und satirisch veranlagten Chansons die Freizügigkeiten in jeder Hinsicht nicht gerade dünn gesät. Von absonderlichen erotischen Phantasien bis zum Spott auf die Dummheit der großen Politik – alles, was ein ungebundenes Frauenherz damals bewegte, ist hier versammelt. Im sorgfältig ausgestatteten Booklet werden nach einer „persönlichen Einführung“, in der Förster ihre Spurensuche beschreibt, auf elf Seiten zehn Kurzbiographien mitsamt Photo wiedergegeben: Laura von Wolzogen, Claire Waldoff, Marie Madeleine (Baronin von Puttkammer), Maria Arnheim (alias Eddy Beuth), Mascha Kaléko (ihr sind zwei Seiten gewidmet), Emmy Hennings, Erika Mann (die eine eigene Karriere hatte, bevor sie die Nachlaßverwalterin ihres Vaters wurde), Marita Gründgens (nicht Frau, sondern Schwester des Berühmten), Heddy Knorr, Hilde Löwe (alias Henry Love) und Ruth Feiner (alias Peter Perten) werden vorgestellt und – soweit möglich – auf den CDs in Originalaufnahmen wiedergegeben.
Ansonsten lesen Regina Lemnitz und Günter Barton aus Briefen und Artikeln der damaligen Zeit. Da, wo Evelin Förster – begleitet von Matthias Binner am Klavier, Antje Parchmann an der Geige und Arne Reiche am Cello – selber singt, kann man sich an ihrer, für dieses Genre besonders geeigneten, markigen und dennoch geschmeidigen Stimme erfreuen. Ältester Text: Der Eitle, 1901 von Wilhelm Busch, jüngster Text: Die Dummheit, 1934 von Erika Mann – da herrschten in Deutschland schon die Nazis und hatten in ihrer eitlen Großmannssucht die hier vorgestellten Vertreterinnen weiblicher Vernunft schon mundtot gemacht oder vertrieben.
Auch auf einer gut besuchten Hörbuchpräsentation im legendären Berliner Bogotá-Hotel am 19. März 2009 wurden eben diese zehn Frauen vorgestellt, die wiederum aus Evelin Försters gleichnamigem Bühnenprogramm, das fünfzehn Frauen gewidmet ist und aus einer kommenden Buchpublikation, die zwanzig Frauen vorstellen wird, ausgewählt sind. Dieses sehr empfehlenswerte Hörbuch füllt eine klaffende Marktlücke. „Mut zur Lücke“ wäre hier völlig fehl am Platze.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S.