Polillo, Arrigo: Jazz. Die neue Enzyklopädie. Überarb. und ergänzt von Hans-Jürgen Schaal. – Mainz: Schott, 2007. – 768 S.: zahlr. s/w Abb.
ISBN 978-3-254-08368-5 : € 19,95 (kart.)
Als der italienische Jazzpublizist Arrigo Polillo sein Buch „Jazz – Geschichte und Persönlichkeiten“ 1975 abschloss, war er hinsichtlich der Zukunft des Jazz nicht eben optimistisch. Doch glücklicherweise war der damals aktuelle Jazz-Rock dann letztlich nicht der Endpunkt der Jazzgeschichte. Wie es in den 80er und 90er Jahren weiterging, hat der Musikjournalist und Buchautor Hans-Jürgen Schaal hautnah miterlebt und dem Standardwerk Polillos nun hinzugefügt. Abgesehen von einigen neuen Kapiteln hat er die nun vorliegende, mit mehr als 700 Seiten stattliche Taschenbuchausgabe gründlich aktualisiert.
Wie wohl keine andere Musikrichtung spiegelt der Jazz gesellschaftliche Veränderungen, nirgendwo sonst verflechten sich die Wege einzelner Musiker so stark wie im Jazz. Um diesen Aspekten Rechnung zu tragen, hat Polillo sein Buch in zwei Teile untergliedert. Während er im ersten Teil die Entwicklung des Jazz im historischen, sozialen und kulturellen Zusammenhang aufzeigt, stellt er im zweiten Teil die großen Musikerpersönlichkeiten in detaillierten Porträts vor: von Bessie Smith, Louis Armstrong oder Duke Ellington über Billie Holiday und Django Reinhardt bis zu Keith Jarrett, Wynton Marsalis oder Dave Douglas.
Anschaulich und kurzweilig rollen sowohl Arrigo Polillo als auch Hans-Jürgen Schaal die Geschichte des Jazz auf, von Minstrels und Ragtime über New-Orleans-Jazz, Swing, Bebop und Cool Jazz bis zum Jazz-Rock und Ethno-Jazz, der das „Multikulti“-Jahrzehnt der 90er Jahre prägte. Insbesondere Schaals Beiträge sind in einem flüssigen, angenehmen Erzählstil gehalten („Aber ich sprach von jenem Abend in Bologna …“, S. 685).
Beide Teile sind ausführlich, informativ und sehr lebendig gestaltet, wozu die vielen Zitate, in denen Musiker aus ihren Erinnerungen erzählen – Dizzy Gillespie z. B., der sich an einen Club-Auftritt aus dem Jahr 1944 erinnert – ihren Teil beitragen.
Obwohl Überschneidungen zwischen den beiden Teilen unvermeidlich sind, stören sie nicht, da die Schwerpunkte ganz klar gesetzt sind und die künstlerische Einordnung und Bewertung der Musiker sowie ihre wichtigsten Aufnahmen im zweiten Teil ihren Platz haben.
Ein Personenregister hilft beim Auffinden all jener Musiker, denen kein eigenes Kapitel gewidmet werden konnte, die aber in manchmal zeilenlangen Auflistungen Erwähnung finden (s. S. 304).
Was das Lesevergnügen indes trübt, ist die von Polillo durchgängig verwendete Bezeichnung „Neger“, die wegen ihres pejorativen Charakters unbedingt vermieden werden sollte!
Friedegard Hürter
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 171