Appleford, Steve: The Rolling Stones. Die Storys zu allen Songs. Übers. v. M. Baltes, R. Höltschl, K. Miedler, U. Pesch u. M. Sailer. – Hamburg: Edel, 2011. – 384 S., zahlr. Abb.
ISBN 978-3-8419-0060-9 : € 19,95 (Pb.)
Hätte Steve Appleford sich an Mick Jaggers und Keith Richards’ eigene Worte gehalten, wäre ihm viel Arbeit erspart geblieben.Schon 1965 wandten sich die Glimmer Twins mit The singer not the song gegen den klassischen Werkbegriff und postulierten vor dem Hintergrund einer simplen Liebesgeschichte das Momentum des freien Spiels, die Dominanz der Interpretation über das Material. Appleford jedoch, ein in Los Angeles lebender Journalist und Fotograf, widersagt sich dieser Deutung und wendet sich hier ausdrücklich dem kompositorischen Schaffen der Band zu. Die Originalausgabe erschien bereits 1997, nun folgt die deutsche Erstveröffentlichung.
Der Untertitel, „Die Storys zu allen Songs“, führt jedoch zunächst in die Irre. Appleford legt keineswegs jeden von den Stones aufgenommenen Titeln auf den Seziertisch. Vielmehr konzentriert er sich auf die Stücke, als deren Urheber die Bandmitglieder gelten. Coverversionen werden beiläufig erwähnt, was aber nur bei den frühen Plattenaufnahmen ins Gewicht fällt: Ab Aftermath (1966) gelten Jagger und Richards neben Lennon/McCartney sowieso als Traumbesetzung unter den Songwritern. In seiner Untersuchung hat sich Appleford für ein besonderes Vorgehen entschieden: Anstelle eines Kompendiums, in dem buchhalterisch genau Aufnahmedaten, Tonart, Studiomusiker, Chartpositionen und ähnliche korinthengleiche Informationen erfasst werden, wählt der Autor die prosaische Darstellung. Seinen den einzelnen Alben gewidmeten Kapitel sind zwar die wichtigsten Fakten (Aufnahmedaten, Produzenten, Musiker, Titelliste) vorangestellt, dann aber wird in eine Gesamtsicht auf die LP übergeleitet, der wiederum – als Kernstücke – Texte zu den einzelnen Songs folgen. Hier finden sich dann die Informationen, mit der auch der Klappentext um Aufmerksamkeit buhlt: Welche Freundin besingt Jagger in diesem Lied, wer kriegt Richards‘ Fett in jenem ab? Doch weitaus wichtiger ist die stilistische Einordnung der Einzelstücke in den komplexen Stones- und Rock-/Pop-Kosmos. Appleford ist vertraut mit dem Werk, er kennt die Wurzeln aus denen es entsteht, und sieht die Blüten, die es in das Umfeld treibt. Ein Beispiel für dieses aufschlussreiche Verfahren ist Dear Doctor mit seiner Familienaufstellung zwischen Hank Williams, Bob Dylan und den Byrds (S. 81f).
Applefords Konzept und Sachverstand, unterstützt von einer reichhaltigen Bebilderung, werden die Aufmerksamkeit sicherlich länger in Beschlag nehmen, als dies bei einem konventionellen Handbuch der Fall wäre. Doch nicht in allen Belangen kann die Veröffentlichung glänzen. Neben inhaltlichen Fehlern (Bob Dylan wurde in Duluth geboren, nicht in Dublin, S. 55) fallen Auslassungen auf: Die ungewöhnliche Klangcollage auf She’s a rainbow etwa bleibt unberücksichtigt (S. 68f) und auch Abdrucke der Plattencover hätten dem Buch gut getan. Doch letztlich ist Applefords Lektüre eine wunderbare Gelegenheit, sich wieder einmal intensiv dem reichhaltigen Werk dieser unglaublichen Band zu widmen.
Michael Stapper
München, 18.08.2011