Hilmes, Oliver: Liszt. Biographie eines Superstars. – München: Siedler-Verlag, 2011. – 431 S.: Ill.
ISBN 978-3-88680-947-9: 24,99 € (geb.)
Heinrich Heine prägte den Begriff der „Lisztomania“ und Robert Schumann schrieb 1840 an Clara Wieck: „Wir lieben ihn alle ganz unbändig und gestern hat er wieder in seinem Concert gespielt wie ein Gott, und das Furore war nicht zu beschreiben.“ (zitiert nach B. Litzmann: Clara Schumann – ein Künstlerleben, S. 419). Dass Franz Liszt nach wie vor ein Faszinosum darstellt, kann man an der Fülle unterschiedlichster Publikationen zum 200. Geburtstag des Komponisten auf dem aktuellen Buchmarkt feststellen. Sicher unterscheiden sich die einzelnen Titel durch Anliegen, Zielgruppe, Umfang, Thematik, Aufmachung oder Stil. Die vorliegende Biographie des „Superstars“ Liszt von Oliver Hilmes nimmt jedenfalls in der Menge der Lebensbilder eine Sonderstellung ein: zum einen, weil sich ein kenntnisreicher Biograph (es ist der Dunstkreis um Richard Wagner, den Oliver Hilmes seit längerem auslotet z. B. in Herrin des Hügels und Cosimas Kinder) der Person Liszts angenommen hat und zum andern weil die literarische Qualität bestechend ist und sich die Zielgruppe erheblich erweitern dürfte, weil auf musikanalytische, werkbeschreibende Exkurse ganz verzichtet wurde. Im Mittelpunkt von Hilmes‘ Betrachtung steht die Person des Komponisten. Seine psychologische Sachkenntnis gestattet einen unverstellten Blick auf dessen vielschichtige Persönlichkeit, deren einzelne Fassetten umso klarer hervortreten, je intensiver Hilmes mögliche Ursachen und Zusammenhänge auszuleuchten versucht. Seine stupende Kenntnis der einzelnen Akteure, der unterschiedlichen familiären Verflechtungen, Abhängigkeiten und der Fachliteratur haben hier ein dichtes und farbenreiches Lebensbild entstehen lassen. Seine Stärke liegt in der Deutung komplexer familiärer, privater Zusammenhänge, zentrale Motive sieht er angelegt in der Jugend des Komponisten, als der Vater – ähnlich Leopold Mozart – seinen konstitutionell und gesundheitlich labilen Sohn durch die europäischen Kunstmetropolen jagte, wahrscheinlich in Kompensation seiner eigenen künstlerischen Frustrationen. Wichtige Gestalt in diesem Umfeld ist die Mutter Anna, die, wiewohl keine hochgebildete Frau, sich durch Pragmatismus, Güte, Humor und Herzenswärme auszeichnete und die auch den drei Kindern Liszts letztendlich familiäre Geborgenheit bieten konnte. Der Widerspruch zwischen Liszts tief empfundener Frömmigkeit – als junger Mann liebäugelte er mit einer Laufbahn als Geistlicher und er nahm als Abbé in Rom die niederen Weihen – und sein eindeutiger Hang zur partnerschaftlichen Untreue und erotischen Eskapaden wird ebenfalls durch Liszts Sozialisation erklärt. Starkult und Aufschneiderei können ebenso schlüssig nebeneinander bestehen wie persönliche Bescheidenheit und Zurücknahme eigener Interessen, wenn es galt, sich für Kollegen und Schüler einzusetzen. Im Dschungel der Liszt-Literatur für ausdauernde (431 S.), genussliebende und neugierige Leser ein absolutes Highlight!
Claudia Niebel
Stuttgart, 25.07.2011