Hanka Meves: Die Komponistin von Köln. Historischer Roman. – Köln: emons, 2024. – 288 S.
ISBN 978-3-7408-2067-1 : € 14,00 (kart.; auch als eBook)
Unbeachtet schlummert der Nachlass der Kölner Komponistin Maria Herz (1878–1950) zunächst bei ihren Nachfahren in den USA und anschließend viele Jahre lang auf dem Dachboden ihres Enkels in der Schweiz. Nach seiner Pensionierung sichtet Albert Herz die Kisten und stößt auf Noten, Konzertprogramme, Fotos, Notizen und mehr als 200 Briefe seiner jüdischen Großmutter. Was sich in den Dokumenten offenbart, ist die Bedeutung der jüdischen Komponistin, die zwischen 1920 und 1930 ihre erfolgreichsten Jahre erlebt, deren Karriere aber von den Nationalsozialisten brutal beendet wird. Albert Herz überlässt die Dokumente 2015 dem Musikarchiv der Zentralbibliothek Zürich und macht sie damit öffentlich zugänglich.
Als die Kölner Autorin und Journalistin Hanka Meves von dem Nachlass erfährt, ist ihr Interesse sofort geweckt. Der in Vergessenheit geratenen Kölner Komponistin zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Tochter der bekannten Bing-Seidendynastie und Mutter von vier Kindern, wird sie sich widmen. Es entsteht ihr erster historischer Roman, mit dem sie die bewegte und bewegende Lebensgeschichte einer starken Frau ins öffentliche Bewusstsein zurückholt.
Spannend geschrieben und flüssig zu lesen, begleiten wir Leserinnen und Leser Maria Herz aus der Perspektive ihrer fiktiven Freundin Franziska Beyer, genannt Franzi. Die beiden Mädchen stammen aus wohlhabenden Familien, wachsen quasi gemeinsam auf und sind beste Freundinnen. Die Vorliebe für Musik ist bei Mariechen, wie sie im Buch genannt wird, schon als Kind stark ausgeprägt, und die musikliebenden Eltern ermöglichen ihrem jüngsten Kind früh eine professionelle Ausbildung in der Klavierklasse von Max Pauer, Professor am Kölner Konservatorium. Als sie mit 23 Jahren den Chemiker Albert Herz heiratet, wandert sie mit ihm nach Bradford in England aus, wo sie ihre vier Kinder zur Welt bringt. An eine Karriere als Pianistin ist seitdem zwar nicht mehr zu denken, aber die willensstarke junge Frau hält Vorträge über Musik, nimmt Kompositionsunterricht bei dem Komponisten und Kunstmaler Arthur Edmund Grimshaw, schreibt erste Werke im romantischen Stil und gibt kleine Konzerte.
Im Sommer 1914 hat ein Familienbesuch in Köln schwerwiegende Konsequenzen: Der Erste Weltkrieg bricht aus und verhindert eine Rückkehr nach England. Marias Mann Albert wird eingezogen, und als er 1920 an der Spanischen Grippe stirbt, muss sich Maria als alleinerziehende Mutter durchkämpfen. Doch schließlich nimmt sie wieder Kompositionsunterricht. Zu ihren Lehrern zählt auch der angesehene Komponist Philipp Jarnach. Um in der männerdominierten Szene besser Fuß zu fassen, setzt sie den Vornamen ihres Ehemannes vor ihren eigenen: Albert Maria Herz. Und tatsächlich gelingt der Trick. Ihre Kompositionen – Solokonzerte, Kammermusik, Orchesterwerke und Klavierlieder im Stil der Neuen Musik – werden nun regelmäßig aufgeführt. Den Höhepunkt bildet im Oktober 1928 die Uraufführung von Vier kleine Orchestersätze op. 8 im Kölner Gürzenich unter Leitung von Hermann Abendroth.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endet die Karriere der jüdischen Komponistin abrupt und endgültig. Als sich die jüdische Bevölkerung immer größeren Repressalien ausgesetzt sieht, nutzt Maria Herz die Chance, mit ihrem Sohn Robert nach England auszureisen. Mit dem Abschied von ihrer fiktiven Freundin Franzi und nicht zuletzt von ihrem Zuhause, der großen Familie und ihren beruflichen Hoffnungen endet der Roman. Wie ihr Leben weiter verläuft, erfahren wir, knapp zusammengefasst, im Nachwort. Durch den persönlichen Kontakt mit Albert Herz erfuhr Hanka Meves, dass Maria Herz 1948 zu ihren beiden Töchtern in die USA ausreisen konnte, wo sie 1950 im Alter von 72 Jahren nach schwerer Krankheit starb.
Die Autorin erzählt die Lebensgeschichte ihrer starken Protagonistin in kurzen Kapiteln: vom gemeinsamen Schulweg mit Freundin Franzi, ersten Schwärmereien und vorsichtigen musikalischen Schritten bis zu „Mariechens“ erzwungenem Exil. Wie intensiv Meves recherchiert hat, lässt sich etwa daran festmachen, dass sie aus Briefen, Konzertkritiken und Zeitungsartikeln zitiert oder exakte Daten, Konzertprogramme und Aufführungsorte nennt. Obwohl die Biographie dieser ungewöhnlichen Frau, die sich mit Talent und großer Zielstrebigkeit in einem für Frauen mehr als ungewöhnlichen Beruf durchsetzt, schon spannend genug ist, gewinnt der Stoff durch seine von Dialogen geprägte Struktur zusätzlich an Lebendigkeit. Diese Gespräche zwischen den Freundinnen vermitteln auch einen aufschlussreichen Blick auf die gesellschaftlichen Ansichten und das sich wandelnde Bild der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Friedegard Hürter
Bonn, 17.11.2024