Mozarts Welt und Nachwelt / Hrsg. von Claudia Maria Knispel und Gernot Gruber.– Laaber: Laaber-Verlag, 2009 – 621 S.: Abb. (Das Mozart-Handbuch ; 5)
ISBN 978-3-89007-465-8 : € 111,00 (geb.)
Mit diesem Band kommt nun das zum 250. Geburtstag Mozarts geplante sechsbändige Mozart-Handbuch zum Abschluss. Unter verschiedenen Aspekten könnte sich seine Benutzung als nützlich erweisen. Der zweite Teil enthält ein Buch im Buch, nämlich die überarbeitete und erweiterte Neuauflage eines Werks mit Referenzcharakter, Gernot Grubers Mozart und die Nachwelt, des bewährten rezeptionsgeschichtlichen Standardwerks, dessen Aktualisierung bis ins Jahr 2008 sich lohnt, abgesehen von den Korrekturen und Zusätzen in früheren Kapiteln. Im ersten Teil unternimmt Cl. M. Knispel einen erneuten Versuch einer Mozart-Chronik, die eine ganze Reihe von früheren Unstimmigkeiten, da wo sie sich klären ließen, vermeidet. Sie hat außerdem den Vorteil, in parallel laufenden Marginalien das kulturpolitische Umfeld, in dem Mozart lebte, mitzuteilen, und sie umgeht in nüchterner Bekanntgabe gesicherter Daten jegliche Interpretation. Von diesem Gerüst könnte jede beschreibende und deutende Biografie ausgehen. Nur bedingt nutzbar ist die von vornherein als Auswahl angelegte Werkchronik, die allerdings den Vorteil hat, in synoptisch angelegten vier Werkgruppen (die sicher nicht zufällig fast mit den vier Werkbänden des Handbuchs identisch sind) die wichtigsten Kompositionen Mozarts sehr übersichtlich zu präsentieren. Marginale Gattungen sind entweder gar nicht oder nur lückenhaft aufgenommen.
An diese beiden Kernstücke sind verschiedene Essays anderer Autoren angegliedert, die sich mit alten und neuen Aspekten befassen. Hier seien nur die neuen genannt. Knispel selbst steuert noch drei Essays bei: Aus den echten, zweifelhaften und unechten Porträts Mozarts versucht sie sein äußeres Erscheinungsbild zu rekonstruieren; anhand ausgewählter faksimilierter und transkribierter Beispiele von Mozarts Handschrift unternimmt sie eine graphologische Beschreibung mit vorsichtigen charakterologischen Schlussfolgerungen; eine Bestandsaufnahme der Frauen um Mozart berücksichtigt die neuesten Erkundungen mehrerer Autorinnen gerade der letzten Jahre. Richard Armbruster gelingt es, ein immer noch weit verbreitetes Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Mozarts eigenem Werkverzeichnis nachhaltig zu erschüttern, indem er Mozarts zum Teil lässigen Umgang mit diesem Katalog nachweisen kann, denn hier kam es ihm wohl mehr auf vollständige Überlieferung denn auf absolut präzise Datierung an. Mozarts positive religiöse Verankerung im Katholizismus wird von Dietz-Rüdiger Moser begründet, mit dessen Essay jener von Bernd Krebs über die Mozartinterpretation von Karl Barth korrespondiert. Daniel Brandenburg geht der Frage nach, ob denn die Sänger(innen) für Mozart eher eine Beschränkung oder eine Inspiration für sein kompositorisches Ingenium gewesen seien.
Volker Kalisch resümiert Versuche einer politisch-ideologisch motivierten, mit bürgerlichen oder proletarischen Klasseninteressen verknüpften Vereinnahmung Mozarts. Arnulf Knafl verdeutlicht, wie die Wende in der Mozart-Biographik, die Wolfgang Hildesheimer herbeiführte, wiederum mit dessen literarischen Ambitionen zusammenhing, die Möglichkeiten triftiger Biografien generell ad absurdum zu führen – sein Mozart-Buch bildete wohl nur eine Vorstufe zur Biografie eines gewissen Marbot, der eine reine Kunstfigur war. Peter Sühring stellt den Musikgelehrten Gustav Jacobsthal vor, der eine im späten 19. Jahrhundert seltene und ins Abseits gestellte avancierte Form der Mozart-Analyse repräsentierte. Zwei vergessene Mozart-Novellen von Louis Fürnberg und des kubanischen Dichters Tristán de Jesús Medinas, vorgestellt von Oswald Panagl und Florian Borchmeyer, zeigen den langen Schatten Mörikes.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 257f.