Shelton, Robert: Bob Dylan. No Direction Home – Sein Leben, seine Musik 1941 – 1978. Neu hrsg. von Elizabeth Thomson u. Patrick Humphries. – Hamburg: Edel, 2011. – 687 S., zahlr. s/w-Fotos
ISBN 978-3-8419-0065-4 : € 29,95 (geb.)
Solch ein Glück wünscht man sich als Musikjournalist … Du arbeitest in Greenwich Village, dort, wo Neues entsteht, nachdem der Rock ‚n‘ Roll zum Wehrdienst eingezogen wurde. In den Kneipen hörst Du Blues-Pioniere und Folk-Newcomer. Eines Abends, in Gerde’s Folk City, singt ein schmächtiger Mann mit Cord-Mütze vor Dir. Ein Virtuose an der Gitarre ist er nicht, die Mundharmonika hängt an einem verbogenen Kleiderbügel um den Hals. Und doch schreibst Du über ihn in der New York Times. Plötzlich passiert es: Der junge Mann bekommt einen Plattenvertrag; er wird zum Messias und zum Judas; stürzt vom Motorrad und mehrere Male vom Sockel; und noch immer hinterlässt er Spuren auf dem Rock-Olymp … Bob Dylan heißt der Mann, der dem Journalisten Robert Shelton sein Karriere verdankt.
Natürlich ist dies heillos übertrieben. Der Meister braucht keine Steigbügelhalter. Oft genug hat Dylan selbst seinen Weg an die Spitze beschrieben. Dass die biografischen Rückblicke bisweilen voneinander abwichen, hat ihn nie gestört. Seine Musik verändert sich schließlich auch ständig. Wen diese Selbststilisierung stört, der sollte bei Sheltons Werk vorsichtig sein. Denn No Direction Home ist das einzige Buch über Dylan, an dem dieser – laut Pressetext – aktiv mitgewirkt hat. Nach der wegweisenden Rezension von 1961 begleitete der 1926 geborene Folk-Spezialist Shelton den Musiker über mehrere Jahre hinweg. Dylan, unterstützte dessen Arbeit und machte ihn mit zahlreichen Zeitzeugen bekannt. 1977 schloss Shelton das Manuskript ab, es sollte aber noch eine weitere Dekade mühevoller Auseinandersetzungen mit Verlegern und Lektoren vergehen, bis das Werk 1986 erschien.
Bis heute gilt No Direction Home als eine der besten Abhandlungen über Dylans Karriere bis in die 1970er Jahre. Shelton betrat Neuland in der großformatigen Berichterstattung, weil er nicht Bob Superstar porträtierte, sondern den Menschen und Musiker in seinem sozialen und kulturellen Umfeld. Übereilte Schlussfolgerungen oder simple Charakterisierungen vermied er dabei. So kryptisch sich Dylan über die eigene Person äußert, so vorsichtig ist Sheltons Annäherung. Er interviewt den Musiker, hört Songs, liest Texte, zitiert Verwandte und Freunde, verknüpft Zeiten, Orte und Menschen – journalistisches Handwerk, möchte man meinen. In Sheltons Text aber ist dieser Prozess immer gegenwärtig – das Fazit überlässt er dem Leser. So leistet sich Shelton etwa eine sechsseitige Charakterstudie von Dylans Manager, der von anderen Autoren mit zwei Worten ausreichend beschrieben wäre. Diese Mühe sollte man nicht scheuen, will man Dylan näher kommen.
Zum 70. Geburtstag Dylans ist Sheltons Opus magnum in einer aktualisierten Auflage und zu einem fairen Preis neu erschienen. Einzelne Kapitel wurden – nach dem ursprünglichen Willen des Autors – umgestellt, die Chronologie ergänzt. Und dies in einer Aufmachung, die dem Verlagsnamen alle Ehre macht: Fast 700 Seiten in einem raumgreifenden, eleganten Layout, ikonographische Fotos, bronzene Kapitelseiten. Dieses Geburtstagsgeschenk sollte sich jeder Fan selbst machen.
Michael Stapper
München, 22. Juli 2011