Markus Emanuel Zaja u. Ralf Kaupenjohann: feiga & george [Verena Funtenberger]

Markus Emanuel Zaja u. Ralf Kaupenjohann: feiga & george. das verschwinden der jüdischen familie zając in wien / [Mit Beitr. von Michaela Raggam-Blesch, Dieter Hecht, Heidemarie Uhl, Ingrid Schupetta]. – Essen: Augemus, 2022. – 438 S.: 200 Ill. + 2 CDs
ISBN 978-3-924272-89-0 : € 79,00 € (kart./geb.)

Markus Emanuel Zaja, Klarinettist mit polnisch-galizischen Vorfahren, 2022 Preisträger des Wettbewerbs L’Chaim: Schreib zum jüdischen Leben in Deutschland, und der Akkordeonist Ralf Kaupenjohann bilden seit vielen Jahren das Duo kẑrme. Neben ihrer Konzerttätigkeit ist ein wichtiges Movens für ihre künstlerische Arbeit die Suche nach Spuren verfolgter Angehöriger der Familie Zaja und namensverwandter Personen. Die Erinnerung an sie gilt es zu bewahren, stellvertretend für die unzähligen Opfer der Shoa, die ermordet wurden, nur weil sie jüdisch waren. Den Musikern ist es eine Herzenssache, auf ihren Forschungs- und Konzertreisen nicht nur in Archiven den Zeugnissen der Vergangenheit oder gar Vernichtung nachzuspüren, sondern an den jeweiligen Orten mit dort Lebenden zu musizieren, um den „Klang des Lebens“ wiederzuhören (Vorwort S. 12).

Ausgangspunkt für das vorliegende Buch- und Musikprojekt war der Hinweis einer befreundeten Historikerin auf einen Eintrag in der Datenbank der österreichischen Schoa-Opfer: Feige und George Zając, dazu die Adresse der letzten gemeinsamen Wohnung in der Wiener Leopoldstadt sowie das Datum ihrer Deportation. Die außerordentlich dramatische Geschichte, die das Musikerduo auf der Grundlage dieser dürftigen Angaben auf seiner Konzert- und Forschungsreise nach Wien und in Folge herausgefunden hat, lässt niemanden unberührt. Akribisch, bis in letzte Details hat Ralf Kaupenjohann die Daten und Fakten zu den Lebens- und Fluchtwegen der Familie Zając gesammelt, in eine Ordnung gebracht und durch zahlreiche Quellenhinweise und Abbildungen belegt. Gerade die sachliche dokumentarische Darstellung lässt die Umstände des Lebens jüdischer Menschen nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 umso ungeheuerlicher erscheinen. Abram Jechek Zając gelang im Juli 1939 noch die Flucht nach England. Seine Frau Feiga und der achtzehn Monate alte Sohn George mussten jedoch am 3. September 1939, dem Tag der Kriegserklärung Englands an Deutschland, in letzter Minute das rettende Schiff wieder verlassen und nach Wien zurückkehren. Alle weiteren Ausreiseversuche scheiterten. Ihre Spuren verlieren sich auf dem Weg ins Durchgangslager Izbica in Polen. Im Rahmen der Aktion Reinhardt wurden alle dorthin Deportierten in die Vernichtungslager Sobibór oder Belżec gebracht und ermordet.

Den dokumentarischen Hauptteil untergliedern – typografisch und farblich abgesetzt – Gedanken von Markus Emanuel Zaja, die er in einer Art Tagebuch während der Wienreise festgehalten hat. Der innere Ausnahmezustand des Autors, etwa beim Musizieren im Hausflur des Wiener Mietshauses, wo seine Verwandten mit anderen Verfolgten zuletzt auf engstem Raum zusammengedrängt waren, oder beim Begehen der Treppe, über die sie ihren letzten Weg genommen haben, lässt sich nur erahnen. Aber er schreibt eben auch: „die asche soll nicht ausschließlich gefeiert werden, sondern das leben“ (S. 216). So bei jenem bunten Abend in einem legendären Wiener Restaurant, wo man zu ebener Erde und im ersten Stock im Gespräch mit Freunden und bei Tokaier und Schomlauer Nockerln dem Himmel ein klein wenig näherkam. Stärker hätte der Kontrast zu den vorangegangenen Ausführungen kaum zum Ausdruck kommen können. An dieser Stelle des Buches muss man erst einmal innehalten, um das Nebeneinander von Grauen und Lebenskunst auf sich wirken zu lassen.

Doch wird noch die Geschichte von Abram Jechek Zając zu Ende erzählt. Er gehörte zusammen mit seinem Schwager Pinkas Chaim Gründlinger zu jenen 2.542 Männern, darunter zwei Drittel jüdische Geflüchtete, die – 1940 von der britischen Regierung plötzlich zu „enemy aliens“ erklärt – unter unmenschlichen Bedingungen auf dem berüchtigten Transportschiff Dunera in australische Internierungslager deportiert wurden. Nach seiner Freilassung blieb er in Australien, wo sein langer Lebensweg 1982 endete.

Das mit vielen Abbildungen und Fotos versehene Buch ist schön gestaltet und lädt optisch wie haptisch dazu ein, sich mit der nicht eben leichten Lektüre zu beschäftigen. Etliche Tipp- und Flüchtigkeitsfehler sollten in einer zweiten Auflage jedoch korrigiert werden.

Die Musik auf der Doppel-CD zum Buch entstand ebenfalls während der Wienreise. Es ist improvisierte Musik, wie man sie in dieser Besetzung auf diesem Niveau selten zu hören bekommt. Kaum mag man glauben, dass es keine notierten Vorlagen gibt, so perfekt funktioniert das Wechsel- und Zusammenspiel von Klarinette und Akkordeon, bis in subtilste Klänge hinein. Die Musik, die sich einer eindeutigen Zuordnung zu Genres wie Neue Musik, Jazz oder Klezmer entzieht, changiert zwischen Schwermut und Lebensbejahung, Trauer und Hoffnung, Vergeblichkeit und Aufbruch, immer wieder bricht sich jedoch ein dunkler Unterton Bahn. Es ist Musik, die unter die Haut geht, wenn man sich auf sie einlässt. In einigen Stücken wird das Duo kẑrme durch Wiener Musiker verstärkt. Mit ungeheurer Präzision, geradezu unerbittlich, doch nie sich aufdrängend, spielt Titus Vadon die Rhythmus-Schläge. Johannes Groysbeck sorgt in dem Stück „Wien Westbahnhof“ mit seinem selbsterfundenen Instrument, dem Groysophon, einer Art Elektrozither, für eine besondere Klangfarbe und Wirkung. Die Doppel-CD stand – wie auch schon die beiden Vorgänger-CDs von kẑrme aus den Jahren 2014 und 2016 (6032 32513 / pierogi, schabbes und das schwarze gold) – auf der Longlist des Preises der Deutschen Schallplattenkritik (2/2023, Kategorie „Grenzgänge“).

Fazit: Die beachtliche Rechercheleistung von Markus Emanuel Zaja und Ralf Kaupenjohann, die das Schicksal der jüdischen Familie Zając in Wien stellvertretend für andere Opfer der Shoa offengelegt und vor dem Vergessen bewahrt hat, nötigt für sich allein schon großen Respekt ab. Dass sie an jenen Orten, an denen diese Menschen einst gelebt haben, Musik von bewegender Intensität mit heute Lebenden haben entstehen lassen, berührt tief. Eine angemessenere und würdigere Form, um der verfolgten und ermordeten Vorfahren zu gedenken, ist kaum vorstellbar.

Verena Funtenberger
Essen, 03.10.2023

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