Grieser, Dietmar: Schön ist die Welt. Schauplätze der Musik ‒ Wien: Amalthea, 2017. ‒ 272 S.: 36 Abb.
ISBN 978-3-99050-096-5: € 25,00 (geb.; auch als e-Book)
„Schön ist die Welt“, so singt der lebenslustige Kronprinz Georg in Franz Lehárs gleichnamiger Operette, „wenn das Glück dir ein Märchen erzählt“. In diesen Textzeilen hat der publizistisch hoch aktive Bestsellerautor Dietmar Grieser, der seine dankbare Leserschaft nun bereits seit mehreren Jahrzehnten auf kulturellen Reisen unterschiedlichster Couleur im Geiste begleitet, das ideale Motto für sein jüngstes Werk gefunden. In zehn Kapiteln und 27 kleineren thematischen Abschnitten lässt er die Grenzen von Epochen und musikalischen Genres verschwimmen, indem er zu einem Ausflug an ausgewählte „Schauplätze der Musik“ lädt. Dabei deckt der Autor eine ganze Reihe von in jeder Hinsicht heterogenen Stationen ab, von denen er – nach einer ausführlichen Einleitung („privatissime I“, S. 11‒19), innerhalb derer er die Geschichte der Entdeckung seiner Leidenschaft für die Musik erzählt – die Opern im Kapitel „drammatico“ (S. 20‒57) an den Anfang seiner Tour stellt.
Den Einstieg findet Dietmar Grieser über eine Schilderung seines Besuchs der Schauplätze von Puccinis Tosca im Dezember 2016, die dazu angetan ist, sofort Sehnsucht nach dem besonderen Flair Roms zu entfachen („Eins zu eins. Tosca und die Security“, S. 28‒42). Dem folgen weniger von persönlichen Erlebnissen zehrende Abstecher in das Nagasaki der Madame Butterfly von Giacomo Puccini und zu Albert Lortzings Zar und Zimmermann, ehe sich Grieser mit dem nur relativ kurzen Kapitel „arioso“ in die Maria Callas geweihten musealen Sphären ihres Exgatten Giovanni Battista Meneghini sowie in „Die Welt des Leo Slezak“ (S. 58‒67) begibt. Umfangreicher fällt da schon das Kapitel „cantabile“ (S. 80‒122) aus: „Von Franz Schubert bis Elvis Presley“ führt Grieser hier in die Welt der Köhler aus Ferdinand Raimunds Alpenkönig und Menschenfeind und weiter bis zum Wienerlied und dessen ungewisser Zukunft.
Dabei fallen immer wieder auch durchaus nicht unproblematische, zumindest aber verkürzende Darstellungen von Sachverhalten ins Auge ‒ besonders da, wo ein differenzierter Blick auf das Thema erforderlich wäre. Dass beispielsweise eine Adaption des aus dem Vormärz stammenden Soldaten- und Wanderliedes Muss i denn von Elvis Presley, der lediglich wenige Jahre nach Ende der Besatzungszeit während seines Militärdienstes im Hessischen Friedberg stationiert war, 1960 nicht nur für den europäischen Markt als Single unter dem Titel Wooden Heart veröffentlicht wurde und im Nachkriegsdeutschland Platz 2 der Charts erreichte, sondern auch Eingang in den Film G. I. Blues gefunden hat, folgte einer klaren kulturpolitischen Zielsetzung, die ein persönliches Interesse des „King“ an der für ihn neuen Volksweise weit überragte. (Vgl. S. 95ff)
Eine gewisse Vorsicht ist überdies im Umgang mit kursierenden Textinterpretationen des (mancherorts gar für die musikalische Gestaltung der Adventszeit beliebten) Wiegenliedes Heidschi Bumbeidschi geboten, von dem mehrere regional unterschiedliche Varianten existieren. Es gehört jenen zahlreichen Beispielen seiner Gattung an, die durch Visionen von Gewalt, Tod und Schrecken unbotsame Kinder gefügig machen sollten. Derzeit gängig, keineswegs aber ausschließlich, ist etwa die u.a. bei Günther Noll (2012) zu findende Auslegung, dass sich das „Heidschi“ schlicht von „hutschen“ = „schaukeln“ herleitet, wobei „Bumbeidschi“ lediglich dessen lautmalerische Verlängerung bildet. Die in der letzten Strophe erfolgende, bedrohliche Personifikation des Heidschi-Bumbeidschi, der das Kind mitnimmt, mag durchaus mit einer Erscheinungsform des Todes identifiziert werden. In einer etwas harmloseren Deutung könnte damit aber auch einfach der Schlaf gemeint sein. Dies legen ältere Textfassungen des erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Österreich aufgezeichneten Liedes nahe, in denen die Anfangssilben „Haid’l-Bubaid’l“ lauten. Dietmar Grieser allerdings verlegt sich ausschließlich auf eine gänzlich andere Interpretation, der zufolge „Hatschi Bumbatschi“ (S. 102f) auf die Zeit der als „Knabenlese“ bezeichneten Entführungen von Kindern auf dem Balkan für die Eliteeinheit der Janitscharen durch das Osmanische Reich verweisen würde.
Im Folgekapitel „maestoso“ (S. 123‒158) berichtet Grieser mit anekdotischer Verve von amourösen Verwicklungen in den letzten Jahren Richard Wagners und die Kindheit Gustav Mahlers, aber auch von Brahms‘ Wiener Zeit. Daneben greift er kursierende Theorien zur Identität der Widmungsträgerin von Beethovens Für Elise auf (die bislang allerdings nicht so letztgültig ausfallen, wie Griesers Darstellung vermuten lassen würde). „Addolorato“ (S. 159‒183) thematisiert den Tod Anton Weberns in Mittersill, Hugo Wolfs Aufenthalt in Perchtoldsdorf und Fritz Wunderlichs frühes Hinscheiden als Folge eines Treppensturzes. Der Schwung geht auch innerhalb von „leggiero“ (S. 184‒207) nicht verloren, wenn Grieser Geschichten von Maria Pervich, der viel umworbenen Starköchin der Familie Kálmán, und dem wohl berühmtesten Zitherspieler der Welt, Anton Karas, erzählt. Eine persönliche Begegnung während Griesers Volontariatsjahres beim Pfälzischen Merkur 1952 mit Karl-Heinz Reintgen nimmt der Autor zum Anlass, den weithin rezipierten Schlager „Lili Marleen“ zu thematisieren: Reintgen hatte den späteren internationalen Hit als Leiter des deutschen Soldatensenders Radio Belgrad regelmäßig programmiert und damit bekannt gemacht.
Die Lust am Skandal findet ihren angestammten Platz in „appassionato“ (S. 208‒225), ehe ein „quodlibet“ (S. 226‒251) den eigentlichen Streifzug durch die Musikgeschichte mit einem letzten, kaleidoskopischen Aufflackern so unterschiedlicher Themen wie dem Leben des Tiroler Geigenbauers Jakob Stainer, der Entstehung des Wiener Neujahrskonzerts, dem Bücherflohmarkt von Enzesfeld (einer niederösterreichischen Kastralgemeinde im Bezirk Baden) und dem Wiener Kulturtourismusunternehmen „Elite Tours“ abschließt.
Schließlich kehrt Grieser mit einem „privatissime II“ (S. 252‒261) in Form einer Würdigung „seiner“ Musiker (vgl. S. 252) nochmals in sympathischer Weise auf sehr persönliches Terrain zurück. Dietmar Grieser erzählt mit unverbrauchter Leidenschaft viele gute Geschichten – von ihnen zehrt das vorliegende Buch. Dem tut der Umstand, dass einige der Texte bereits innerhalb früherer Publikationen erschienen sind, keinen Abbruch. Details dazu können dem entsprechenden Textnachweis (S. 262) entnommen werden; auch das Personenregister (S. 262) mag sich als nützliches Werkzeug erweisen. Schade bleibt hingegen, dass auf jegliche Angabe der Quellen, auf die sich der Autor stützt, verzichtet wurde: Wer auf fundierte Hintergrundinformation oder Hinweise zu vertiefender Lektüre hofft, wird somit leider zwangsläufig enttäuscht. Dennoch ist die Welt, die Dietmar Grieser da insbesondere für die Zielgruppe musikinteressierter Laien auftut, zweifellos schön. Der Kreis schließt sich, und damit ist es an der Zeit, nochmals in Anlehnung an Lehár die beiden entscheidenden Fragen in Hinblick auf Griesers jüngstes Werk zu stellen: „Sehnsucht, wo ziehst du mich hin? Kann ich dem Alltag entflieh’n?“ Die Antwort darauf kann nur ein klares „Ja“ sein: Der Weg zurück in den nüchternen Alltag bleibt schließlich offen.
Michaela Krucsay
Leoben, 21.01.2018