Hofacker, Ernst: 1967. Als Pop unsere Welt für immer veränderte – Stuttgart: Reclam, 2016. – 272 S.: 50 teils farb. Abb.
ISBN 978-3-15-011086-7 : € 34,95 (geb.)
Ein klein wenig zu früh ist das Buch denn doch erschienen. In Grunde pünktlich vor dem Erscheinen der 50jährigen Distanz zum Titeljahr – aber daß einer der großen Protagonisten des Buchs, Bob Dylan, nun den Literatur-Nobelpreis erhält, das hätte noch das i-Tüpfelchen sein können, als eine anerkennende Bestätigung, daß dieses Jahr geschichtlich prägend war.
Herr Hofacker als Musikjournalist hat schon mehrfach Werke zur Geschichte der Popmusik veröffentlicht, z.B. über deren Entstehung mit Hilfe der Edison-Walze bis zur ersten globalen Expansion durch Elvis Presley (Rez. hier auf info-netz-musik). Nun hat er das Jahr 1967 als einen weiteren Einschnitt ausgemacht, in dem die Popmusik eine entscheidende Wendung nahm und eine Popkultur entstand. Zur Beweisführug unternimmt er eine fiktive Reise durch die USA von West nach Ost, dann nach London und sogar in die damalige Bundesrepublik. Überall macht er jeweils besondere musikalische Ereignisse aus und beleuchtet, wie es zu diesen kam und welche Auswirkungen sie hatten. Dabei bleibt Hofacker nicht nur bei der Musik, sondern betrachtet die Weltlage komplett, politisch, gesellschaftlich, künstlerisch, technisch – und die Wechselwirkungen zur populären Musik. Und in der Musik kann er am besten seine weitreichende Kenntnis über die viefältigen Verästelungen und Verbindungen in dieser Szene weitergeben, und davon dürfte auch der Kenner profitieren. Sein Stil ist eher journalistisch, der Anfang mit der Flower-Power- und Hippie-Szene wirkt noch etwas verwirrend und unübersichtlich, aber dann bekommt diese Reise zunehmend eine literarische Dramaturgie, durch die sich das Buch flüssig bis spannend liest und die vielen Erzählfäden gut zu verfolgen sind.
Pop, Folk, Soul, Beat (natürlich: die Beatles von vorne und hinten), Rock. Für alle diese Musikrichtungen, bis darüber hinaus z.B. zu Jimi Hendrix, Velvet Underground und Pop-Art gibt es in diesem einen Jahr ein Sprungbrett in die Musikgeschichte – zum Weiterleben oder schon in den Abschluß einer Entwicklung. Die Betrachtung ist umfassend. Manchmal wirkt es so, als ob im Namensregister am Ende auch ja kein bekannter Name fehlen dürfe. Der Anhang bietet auch ausführliche Titelempfehlungen zum Hören, Sehen und Lesen. Ob diese auch internet-tauglich für heutige Konsumenten sind, konnte hier nicht überprüft werden. Eine besondere Auswahl an Bildern jenseits der bekannten Ikonographie rundet alles ab. Daß sogar vom damaligen (West-)Deutschland ausgehend eine musikalische Revolution auszumachen sei, ist recht gewagt, aber die Betrachtung der Pop-Szene in ihren Kontexten steht dem Autor zu und gehört duchaus in dieses für den deutschen Markt bestimmte Buch.
Ob man Herrn Hofacker nun zustimmt, den Ereignissen dieses einen Jahres eine solche Bedeutung zuzumessen wie der Titel vorgibt (es erscheinen auch ähnliche Bücher zu den umliegenden Jahren), und ob man ihm in den Schlußbetrachtungen beim Verfolgen der Auswirkungen bis in aktuelle Populismus- und Islamismus-Tendenzen folgen mag oder nicht: das Buch bietet eine vielfältige, interessante Geschichte, mit der man in die damalige Zeit eintauchen und viele musikalische Zusammenhänge der Pop-Musik bis heute besser verstehen kann.
Sebastian Kaindl
Berlin, 19.11.2016