Sommeregger, Peter: Wir Künstler sind andere Naturen. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems. – Wien: Seifert, 2016 – 163 S.: s/w-Abb., Quellenangaben, Personenreg.
ISBN 978-3-902924-64-3 : € 19,95 (geb.)
Wem sagt der Name der „sächsischen Hofopernsängerin“ Margarethe Siems heute noch etwas außer Musikfreunden mit ausgeprägtem Vergangenheitsinteresse? Diese dürften freilich auch wissen, dass es von der Uraufführungs-Marschallin (Rosenkavalier, Dresden 1911) diverse Aufnahmen gibt, neben weiteren auf YouTube sogar unschwer greifbar. Was der Biograph Peter Sommeregger an Margarethe Siems in Sonderheit schätzt, wird in seinem Buch nicht ganz deutlich. Entsprechend seinem Vorwort sieht er die Künstlerin nicht zuletzt als Repräsentantin einer Zeit (vor dem Ersten Weltkrieg), welche „nach Meinung vieler Experten eine der fruchtbarsten in Bezug auf die Gesangskultur war“ (S. 10). Als ein „Experte“ hat sicher auch Jürgen Kesting zu gelten. In seinem Kompendium Die großen Sänger resümiert er: „Ihr Vortrag mag ausgefeilt sein, aber er ist ohne Lebendigkeit und Eloquenz“. Diesem Urteil wäre nun wieder das Statement der Siems-Schülerin Sigrid Onegin entgegen zu halten: „… konnte ich aber nur von einer Sängerin lernen, die im Vollbesitz ihrer Stimme und Technik war“ (S. 124). Margarethe Siems selber studierte bei Aglaja Orgeni, einer Schülerin der berühmten Pauline Viardot, welche u.a. klugerweise forderte, dass sich eine Gesangsausbildung unbedingt auf die individuellen Gegebenheiten einer Stimme einzulassen habe. Zu den besonderen Qualitäten von Margarethe Siems gehörte – wie in jüngerer Vergangenheit wohl nur noch bei Maria Callas erlebbar – die Fähigkeit, Opernpartien unterschiedlichster Couleur zu bewältigen. Um nur bei Uraufführungen von Strauss-Opern zu bleiben: hier wird die Marschallin (Zwischenfach) umrahmt von der jugendlich-dramatischen Chrysothemis (Elektra, 1909) und der koloraturvesuvischen Zerbinetta (Ariadne in der Erstfassung, 1912). Margarethe Siems (Jahrgang 1879) wuchs, von den Eltern musikalisch gefördert, in Breslau auf. Ihre Entscheidung für den Gesang führte sie studienhalber nach Dresden (Aglaja Orgeni). Rasch folgte 1902 ein erstes Engagement nach Prag (Neues Deutsches Theater, Leitung: Angelo Neumann), wo sie vor allem im Koloraturfach tätig war (aber auch Mitwirkung im Chor). In ihren sechs Prager Jahren erweiterte Margarethe Siems, von Publikums-Sympathien begleitet, von der Presse aber manchmal durchaus hart angegangen, ihr Repertoire fachübergreifend, ab 1908 verstärkt in Dresden.
Peter Sommeregger bietet in flüssigem Erzählstil eine klar strukturierte Karriereübersicht, welche sich bereits in den Kapitelüberschriften niederschlägt. Die zitierten Rezensionen, welche auch später (etwa bei diversen Gastspielen) nicht nur hymnisch ausfielen, wiederholen sich inhaltlich teilweise; da hätte der Autor ruhig verknappen dürfen. Anderseits lag ihm verständlicherweise daran, möglichst viel „Beweismaterial“ anzubieten, welches im Falle von Margarethe Siems, bedingt durch schicksalhafte Zeitläufte, in toto nur lückenhaft ist. Die letzten Jahre boten der Sängerin (+1952) pädagogische Aufgaben und der gleichgeschlechtlich empfindenden Frau noch eine große Liebe. Die an Gerda Weinholz gerichteten überschwänglichen Briefe, welche aus einem Courths-Mahler-Roman stammen könnten, nimmt man nicht ohne Rührung zur Kenntnis.
Christoph Zimmermann
Köln, 19.01.2017