Bormann, Patrick: Das Bonner Beethoven-Haus 1933 1945. Eine Kulturinstitution im „Dritten Reich“ – Bonn: Verlag Beethoven-Haus, 2016. – viii, 367 S.: Abb. (Schriften zur Beethoven-Forschung; 27)
ISBN 978-3-88188-148-7 : € 68,00 (geb.)
Es war eine sehr gute Entscheidung der jetzigen Leitung des Bonner Beethoven-Hauses, die Aufarbeitung der Vergangenheit des Vereins während der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht einem Musikhistoriker, sondern einem Allgemeinhistoriker, speziell einem Institutionenforscher zu übertragen. Denn bei solcher Art von Forschung kommt es darauf an, ohne jegliche Rücksichten auf zunftinterne Verharmlosungen und Rechtfertigungen, auf politische Zielsetzungen und aktuelle Befindlichkeiten einfach leidenschaftslos und bestmöglich aufzudecken, wie es wirklich gewesen ist. D.h. in diesem Fall: wie die Machtübernahme einer totalitären Ideologie, einer diktatorischen Parteiorganisation und eines allmächtigen Staatsapparats in einer als unabhängig konzipierten Kulturinstitution funktioniert hat. Nur aus solchen Untersuchungen könnte man dann weitergehende nüchterne Lehren ziehen für die Erhaltung der Freiheit der Kunst und ihrer Institutionen.
Schon die Frage, warum ausgerechnet Beethoven mit seiner Musik und ein seinem Gedenken gewidmeter Verein in seinem Geburtshaus sich für eine chauvinistische Indienstnahme besonders geeignet hat, ginge als eine politisch-musikästhetische Frage über den sachlichen Horizont einer solchen institutionsgeschichtlichen Untersuchung hinaus, und sie wird auch vom Autor nicht aufgeworfen. Seine quellenfundierte Studie liefert aber indirekt viel Material zur Beantwortung solcher Fragen, auch und gerade schon aus der Zeit vor der nationalsozialistischen Gleichschaltung wie auch aus der Zeit danach. Denn eine „Beethoven-Pflege“ als nationale Aufgabe zur Selbstbestätigung einer sich besonders auf dem Gebiet der Musik als führend ansehenden Kulturnation wie der deutschen stand schon lange vor 1933 auf dem Programm der deutschen Musikgeschichtsschreibung und ihrer musealen Verwaltungsträger. Übrigens werden in Vorbereitung auf den 250. Geburtstag Beethovens im Jahr 2020 wieder seltsame Töne angeschlagen, und es grenzt ans Groteske, wenn die Bonner Fußgänger schon heute darauf trainiert werden sollen, beim Anblick eines grünen Ampelmännchens an das von Beethoven propagierte „Weitergehen in der Kunstwelt“ zu denken. Hoffentlich wird dabei niemand überfahren.
Immer ist der Erfolg einer durch organisatorische Maßnahmen bewirkten politischen Gleichschaltung an den Opportunismus, die Feigheit oder ideologische Verblendung einzelner Personen gebunden. Es müssen Leute existieren, die sich in Dienst nehmen lassen, in vorauseilendem Gehorsam ihre Selbstständigkeit freiwillig aufgeben oder aus Überzeugung eine weltanschauliche Ausrichtung und Eliminierung Andersdenkender betreiben. Die Hauptfigur, um die sich im Falle des Bonner Beethoven-Hauses alles dreht, ist Ludwig Schiedermair, der den Vorsitz des Vereins Beethoven-Haus Bonn schon 1932 angetreten hatte. Er brauchte nur den relativ kleinen Schritt vom deutschnational gesinnten Musikhistoriker, der schon Mozart germanisiert hatte, zum Vertreter eines antifranzösischen, antidemokratischen und völkischen Beethoven-Kults und schließlich zum nationalsozialistischen Parteigänger zu vollziehen. Er ist während der ganzen Periode von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik seiner Hauptsache treu geblieben und hat sich an alle Erfordernisse der nationalsozialistischen Kulturpolitik problemlos anpassen können. Seine präexistente Judenfeindlichkeit gestattete ihm, sich den rassistischen Antisemitismus der Nazis anzueignen und alle „Nichtarier“ aus dem von ihm beaufsichtigten Beethoven-Kult auszuschließen. Die von ihm vor 1933 und nach 1945 zugestandenen Ausnahmen: Felix Mendelssohn, Joseph Joachim und Ferdinand Hiller in ihren Leistungen für die Durchsetzung eines auf der Beethoven-Verehrung als Zentrum beruhenden Kanons bestätigten ihm nur die Regel, dass die Teilnahme von jüdischen Deutschen am Musikleben schädlich sei.
Bormann hat völlig recht, wenn er konstatiert: „Schiedermairs politische Anschauungen lassen sich am besten über seine musikwissenschaftlichen Arbeiten rekonstruieren.“ (S. 23) Und so läßt sich von seiner Mozart-Biografie (1922) angefangen, über sein Buch über den jungen Beethoven (1925), über seine brieflichen und amtlichen Stellungnahmen und Vorträge während der Nazi-Diktatur bis hin zu seinem Veröffentlichungen in den fünfziger Jahren die gleiche nationalistische Grundhaltung feststellen. Die Charakterisierungen verschiedener Nationalstile werden mit Werturteilen verknüpft – das Theatralisch-Rhetorisch-Oberflächliche der Romanen gegen das Nach-Innen-Gerichtete und Auf-den-Grund-Sehende der Deutschen – um letztlich die Überlegenheit der deutschen Musik über den Rest der Welt zu propagieren. Eine ausführliche Zitatesammlung auf den Seiten 170-182 belegt diese durchgehende Tendenz bei Schiedermair.
Schiedermairs Machtinstinkt kam das von den Nazis für alle Institutionen verbindlich eingeführte sogenannte „Führer-Prinzip“ sehr zupass und so entwickelte sich konsequent und stufenweise eine immer enger werdende Verzahnung der von Schiedermair geführten traditionellen Einrichtungen von Beethoven-Haus mit dessen Archiv und dessen Kammermusik-Konzerten sowie des städtischen Beethoven-Festes mit dem nationalsozialistischen Apparat von Partei- und Massenorganisationen. Eine Besonderheit wird von Bormann gebührend ausführlich behandelt, nämlich Schiedermairs in Bonn entwickelte und ausgeübte Machtfülle durch Personalunion in der Besetzung mehrerer miteinander verknüpfter Ämter und Posten. Neben seiner auswärtigen Tätigkeit in Einrichtungen des Salzburger Mozarteums und dem Vorsitz des Vereins Beethoven-Haus Bonn übernahm Schiedermair auch die Leitung des angehängten Beethoven-Archivs. In dem wurde aber vorwiegend zusammengetragen und gesammelt, und eine Bearbeitung der Materialien (bis auf den ständig vor sich her getragenen Plan der Veröffentlichung von Beethovens Konversationsheften) fand nicht wirklich statt. Er entschied über die Programmgestaltung der Kammer-Konzerte und des Beethoven-Festes, in dem er die positive Verbindung mit den Nazi-Größen der Stadtverwaltung intensivierte und für den Ausschluss jüdischer Musiker sorgte, und er betrieb außerdem das musikwissenschaftliche Ordinariat an der Bonner Universität und die Gründung und Leitung der Arbeitsgemeinschaft für Rheinische Musikgeschichte – alles Einrichtungen und Institutionen, die zum Teil schon vor 1933 bestanden und auch heute noch, allerdings personell entflechtet, existieren.
Auch die Rolle anderer Personen, von den Nazi-Funktionären in den verschiedenen miteinander konkurrierenden Kulturinstitutionen einmal abgesehen, wie die des wissenschaftlichen Assistenten an Beethoven-Haus und Universität, Joseph Schmidt-Görg und des Verwalters und Kustos des Beethoven-Hauses, Theodor Wildeman, werden mit der gebotenen Vorsicht und Sorgfalt untersucht und charakterisiert. Hier muss – im Gegensatz zur süddeutschen Herkunft Schiedermairs – auch die ideelle Verankerung mancher verwickelter Personen im rheinischen Katholizismus und dessen Menschenbild als humanitäre Fundierung, die Schlimmeres verhütete, berücksichtigt werden.
Eher beunruhigend sind Bormanns Schilderungen, wie sich nach 1945 alles in Vergessen, Verdrängung und Wohlgefallen auflöste und Schmidt-Görg und Wildeman unter dem Schirm von Adenauer und Heuss eine neue Ära ohne Rückbesinnung einleiteten, die eigentlich erst kürzlich zu Ende gegangen ist.
Jede Behauptung und Schlussfolgerung ist in diesem Buch durch Zitat, Faksimile oder Bild nachvollziehbar und anschaulich nachgewiesen, und das Buch als Ganzes vermittelt einen dokumentarisch fundierten tiefen Einblick in die Mechanismen und Details der Indienstnahme kultureller Institutionen durch totalitäre Kräfte, der sehr lehrreich ist und die Widerstandskräfte gegen derartige, nicht nur in der Vergangenheit möglichen Anwandlungen stärken könnte.
Peter Sühring
Bornheim, 10.01.2017