Friedrich Platz: Wenn der Musiker erscheint. Der audiovisuelle Eindruck vom Konzert [Rebecca Berg]

Platz, Friedrich: Wenn der Musiker erscheint. Der audiovisuelle Eindruck vom Konzert – Marburg: Tectum, 2014. – 239 S.: Abb., Tab.
ISBN 978-3-8288-3437-8 : € 34,95 (geb.)

Applaus ist bekanntlich das Brot des Künstlers. Oder zumindest veranschaulicht er, wenn Kunst gefällt. Doch wann ist z. B. ein Konzert wirklich „gut“? Welche Maßstäbe gelten hier? Und welche Rolle spielt dabei der audiovisuelle Eindruck? Bisher wurde in musikpsychologischen Erklärungsansätzen lediglich die auditive Komponente berücksichtigt. Dieses Buch geht einen neuen Weg und bezieht auch das Visuelle mit ein.
Der Autor: Friedrich Platz, seit 2014 Juniorprofessor an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart. Auserkorener Auftrag: Die Bestimmung optimaler Bedingungen musikalischer Leistungs- und Kompetenzentwicklung, dazu zählen u. a. die „audiovisuelle” Performanceforschung und sozialpsychologische Funktionen der Musik. Dass sich Platz aufs Intensivste mit diesen Themen beschäftigt hat, zeigen die Ergebnisse seiner Dissertation Der Musikerauftritt. Merkmale audiovisueller Persuasion, die von 2009 bis 2013 an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover entstanden ist. Etwas eingängiger erscheint der Titel Wenn der Musiker erscheint, unter dem die Arbeit beim Wissenschaftsverlag tectum erschienen ist.
Das Buch: Friedrich Platz nimmt den audiovisuellen Interaktionsvorgang zwischen Interpreten und Publikum genau unter die Lupe. Demnach versucht der Interpret bereits mit dem Bühnenauftritt, noch vor dem ersten gespielten Ton, eine Einstellungsänderung des Publikums zu erzielen. Nach einer Zusammenfassung – dankenswerterweise auch auf Englisch vorhanden –, die die Voraussetzungen erläutert, und einem umfangreichen Abbildungs- und Tabellenverzeichnis im vorderen Buch-Teil, untersucht Platz in sechs Kapiteln, welchen Einfluss die visuelle Eindruckskomponente hat. Außerdem geht er folgenden Fragen nach: Welche Merkmale des Interpreten stellen die Grundlage zur ersten Eindrucksbildung dar und wie stark ist der Zusammenhang zwischen dem ersten Eindruck und der weiteren Performance-Bewertung?
Zu Rate gezogen werden zahlreiche Methoden, Formeln, Tabellen und Evaluierungen, bei deren Betrachtung man schon ein wenig zahlensicher sein sollte. Es hagelt Meta-Analysen, bei denen der „unkundige“ Leser erst einmal stutzen könnte, aber schnell merkt: aha, es geht um Messbarkeit. Dafür wendet Autor Platz z. B. inferenzstatistische Testverfahren mit dem Ziel eines Gültigkeitsbelegs der Nullhypothese an. Doch diese scheitern an einem geringen Stichprobenumfang, da das „bisherige Nachweisparadigma durch ein Plausibilitätsparadigma ersetzt“ wurde (S. 66).
Nach mehreren empirischen Untersuchungsphasen wird es spannend. Wir sind bei der Hauptstudie angenommen, einem Online-Video-Experiment. Der Hintergrund: Teilnehmern wird ein Video eines Konzertauftritts gezeigt. Danach werden ihnen Aussagen vorgestellt, die sich unterschiedlich gut zur Beschreibung ihres Eindrucks von dem Konzertauftritt eignen könnten. Am Schluss steht die erste Eindrucksbildung der Rezipienten über den Bühnenauftritt auf der Grundlage eines allgemeinen, nichtmusikspezifisch überformten Personenwahrnehmungsprozesses.
Ein praktischer Musiker-Guide für den nächsten Auftritt ist dieses Buch mit Sicherheit nicht. Jedoch behandelt Wenn der Musiker erscheint erstmals umfassend die visuelle Komponente im Musikleben. Die Ergebnisse sind nicht unvorhersehbar, mussten aber doch mal gesagt werden. Sie legen die Annahme eines Modells der musikbezogenen Performance-Elaboration als neuen Erklärungsansatz für das Bewertungsverhalten des Konzertpublikums nahe, das einen weit höheren Erklärungswert besitzt als bisherige musikpsychologische Modelle. Ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Akteuren macht der Autor nicht, aber das hätte sicher auch den Umfang gesprengt. Insgesamt liefert die Publikation einen wesentlichen und wichtigen Denkanstoß, dieses Thema weiter anzugehen und sie sollte daher in gut aufgestellten (Musik-)Bibliotheken vorzufinden sein.
Inhaltsverzeichnis

Rebecca Berg
Frankfurt / Main, 16.03.2015

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