Alban Berg – Erich Kleiber. Briefe der Freundschaft / Hrsg. von Martina Steiger – Wien: Seifert, 2013. – 391 S.: Abb.
ISBN 978-3-902406-97-2 : € 24,90
Briefwechsel zwischen Berühmtheiten oder sonst bedeutenden Persönlichkeiten sind zumeist eine wichtige Quelle für biographische, aber auch ganz allgemeine Forschung. Viel Persönliches, zeitgeschichtlich Relevantes ist gewöhnlich in ihnen zu finden. Die Schwachstelle vieler solcher Publikationen ist aber der wissenschaftliche Apparat, der die Brieftexte oft unkommentiert lässt, bei genannten dritten Personen fehlen oft biographische Hinweise, etc. Dass dies keineswegs so sein muss, beweist die Musikwissenschaftlerin Martina Steiger als Herausgeberin (wie schon 2008 bei dem von ihr edierten Briefwechsel zwischen Alma Mahler-Werfel und dem Ehepaar Alban und Helene Berg) hier in geradezu vorbildlicher Form. Kein noch so kleines Detail bleibt unkommentiert, jede erwähnte Person wird mit umfangreichen Lebensdaten, teilweise sogar Kurzbiographien vorgestellt. Das erleichtert zwar die Lektüre dieser wichtigen Publikation nicht unbedingt, macht das Buch aber zu einer bedeutenden Quelle zukünftiger Forschung.
Die Künstlerfreundschaft zwischen dem österreichischen Komponisten Alban Berg und seinem Landsmann Erich Kleiber entwickelte sich vor dem Hintergrund der von Kleiber an der Berliner Staatsoper durchgesetzten und erfolgreich durchgeführten Uraufführung von Bergs Oper „Wozzeck“ im Jahre 1925. Diese erfolgreiche Aufführung legte den Grundstein für den Siegeszug des Werkes über die Opernbühnen der Welt und bedeutete für Berg den künstlerischen und materiellen Durchbruch. Kleiber, damals Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper war zeitgenössischer Musik gegenüber äußerst aufgeschlossen, ein Umstand, der spätestens ab 1933 zu Problemen mit den neuen Machthabern führte, in der letzten Konsequenz sogar zu Kleibers Demission 1935. Der Demission voraus gingen erhebliche Meinungsverschiedenheiten mit dem vom Regime bevorzugten Wilhelm Furtwängler, der in den betreffenden Briefen in die Nähe eines charakterschwachen Opportunisten gerückt wird. Zeitweise sahen sich Kleiber und Berg sogar gezwungen, ihre Briefe teilweise zu chiffrieren. Anhand der Briefe kann der Leser u.a. die Entstehungsgeschichte von Bergs zweiter Oper „Lulu“ verfolgen, speziell die 1934 gewagte Uraufführung der „Lulu-Suite“ durch Kleiber im Berliner Opernhaus, trotz Furtwänglers vehementen Protests. Dieser Briefwechsel ist von erheblicher, auch politischer Brisanz, ist er doch ein Beitrag zu kulturpolitischen Vorgängen und Intrigen während des Dritten Reichs. Fast verwundert es, dass er nicht schon früher publiziert wurde.
Die Herausgeberin ergänzt den Briefwechsel durch ausführliche biographische Würdigungen Bergs und Kleibers, nimmt auch auf die Familiengeschichte Kleibers Bezug. Zum ersten Mal wird hier ausgesprochen, dass Erich Kleiber ebenso wie seine Witwe Ruth wohl freiwillig aus dem Leben schieden. Beigefügt ist auch eine Übersicht der ersten „Wozzeck“- Aufführungen mit kompletter Besetzung. Eine Briefübersicht, eine Literaturliste und ein Namensregister runden den Band ab, der wichtiges Material zum ersten Mal allgemein zugänglich macht. Da die bisher einzige Biographie Kleibers (John Russell, Erich Kleiber. London 1957) lange vergriffen ist, erfährt speziell die Persönlichkeit Kleibers, in seinem Nachruhm heute deutlich von seinem Sohn Carlos überstrahlt , eine abermalige und längst fällige Würdigung.
Eine mehr als empfehlenswerte, äußerst lohnende Lektüre!
Peter Sommeregger
Berlin, 30.07.2014