„Immer wieder werden mich thätige Geister verlocken“. Alma Mahler-Werfels Briefe an Alban Berg und seine Frau / Hrsg. von Martina Steiger – Wien: Seifert, 2008. – 672 S.: Abb.
ISBN 978-3-902406-55-2 : € 29,90
Die Person Alma Mahler-Werfels war und ist immer wieder Gegenstand seriöser, manchmal auch weniger seriöser bis peinlicher Biographien gewesen. Die Vita dieser schillernden und widersprüchlichen Persönlichkeit stellt eine Herausforderung für jeden Biographen dar, umso mehr als die Autobiographie der Wiener höheren Tochter eher in die Kategorie Dichtung und Wahrheit fällt. Was liegt näher, als auf die Briefe Almas zurückzugreifen, die natürlich auch keineswegs frei von Selbstinszenierung sind, aber doch sehr intime Einblicke in Gefühlswelt und Sozialisierung dieser Femme fatal erlauben.
Mehrere Briefwechsel sind erhalten, zum Teil auch bereits publiziert. Im vorliegenden, bereits 2008 erschienenen fast einschüchternd umfangreichen Band liegt der Briefwechsel Almas mit Alban und Helene Berg vor. Alma unterstützte die Drucklegung von Bergs Oper Wozzeck finanziell, daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft mit dem Ehepaar Berg. Der Briefwechsel erstreckt sich von der Zeit bald nach Gustav Mahlers Tod (1911) bis zum Tod Almas 1964 in New York. In diese Zeitspanne fallen für alle Beteiligten gravierende Ereignisse, so Almas Heirat mit Walter Gropius und die wechselvolle, disharmonische Geschichte dieser Ehe, Alban Bergs Aufstieg zum Ruhm durch den Erfolg seines „Wozzeck“, die späteren Schwierigkeiten des Komponisten nach seiner Ächtung durch die Nationalsozialisten. Auch Almas dritte Ehe mit Franz Werfel und das tragische Schicksal ihrer Kinder mit Gropius finden natürlich ihren Niederschlag; die Nachricht von Bergs Tod 1935 erreicht Alma in New York, Helene Berg bleibt sie bis zu ihrem Tod 1964 verbunden. Nachteilig auf den Informationsgehalt speziell der mit Helene Berg gewechselten Briefe wirkt sich die Tatsache aus, dass sich die beiden Frauen häufig sahen, und ein nicht kleiner Teil der Briefe Almas hauptsächlich aus Bitten, fast schon Befehlen an Helene bestehen, zum Teil äußerst banale Erledigungen für sie zu tätigen, wenn sie sich in ihren Ferienresidenzen aufhielt. Aber selbst die banaleren dieser Briefe sind letztlich verräterisch, zeichnen sie doch das Bild einer exzentrischen, auffallend hypochondrischen Frau, die permanent zwischen Larmoyanz und Euphorie schwankt, ständig übertriebene Liebesbezeugungen niederschreibt, als wolle sie sich selbst ihrer Gefühle versichern. Ein mit Sicherheit schwieriger Mensch, aber auch zu eindrucksvoller Großzügigkeit und Anhänglichkeit fähig. Almas Affinität zu Arnold Schönberg und seinem Kreis bleibt konstant und übersteht auch Krisen, die aus Schönbergs zum Teil dreistem Verhalten resultieren. Die so genannte Zweite Wiener Schule hatte in ihr definitiv eine bedeutende Mäzenin, die sowohl eigene finanzielle Mittel als auch ihr weit verzweigtes Beziehungsnetz in den Dienst der Durchsetzung dieser Musik stellte.
Die Wiener Musikwissenschaftlerin Martina Steiger, die u.a. auch den Briefwechsel zwischen Alban Berg und Erich Kleiber ediert hat, zeichnet als Herausgeberin dieses Bandes. Ihr ist es zu danken, dass die zeitweise etwas trockene Lektüre der Briefe durch die umfangreichen Kommentare und Verweise Leben und Verständlichkeit gewinnt. In bewundernswertem Umfang wurde hier jedes noch so kleine Detail nachrecherchiert und damit ein Verständnis vieler Details erst möglich. Es ist bezeichnend für die Qualität der editorischen Leistung, dass Brieftexte und Kommentar den annähernd gleichen Umfang haben. So erschließt sich förmlich ein ganzer Kosmos der Kulturgeschichte jener Zeit und vieler ihrer Protagonisten. Abbildungen, ein Register sowie ein Quellen-und Literaturverzeichnis ergänzen den Text sinnvoll. Das Buch ist ohne Zweifel ein bedeutender Beitrag zur biographischen Forschung, darüber hinaus ein wichtiges Zeitdokument. Man kann es ohne alle Einschränkungen wärmstens empfehlen!
Peter Sommeregger
Berlin, 21.08.2014