Heldt, Guido: Music and Levels of Narration in Film. Steps Across the Border. – Bristol, Chicago: Intellect, 2013. – X, 290 S.: s/w-Abb, Bibliographie, Filmographie, Register
ISBN 978-1-84150-625-8 : € 64,50 (geb.)
Filmmusik steht schon seit längerem im Fokus der Musikforschung; sie darf zur Zeit als eins der produktivsten Forschungsgebiete dieser Wissenschaft gelten. Bislang allerdings konnten zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema gerade in musikalischer Hinsicht nicht überzeugen, liegt doch die Messlatte durch die grundlegenden älteren Untersuchungen etwa von Adorno/Eisler, Zofia Lissa, Claudia Gorbman und vielen anderen sehr hoch. So blieben die Ergebnisse in letzter Zeit häufig hinter den Erwartungen zurück und beschränkten sich auf die Beschreibung der postulierten filmisch-musikalischen Parallelität und der funktionalen, d. h. dienenden Rolle der Musik.
Mit dem Buch des in Bristol lehrenden Musikwissenschaftlers Guido Heldt liegt nun ein vielversprechender Ansatz vor, der die in der Forschung proklamierte fundamentale Bedeutung der Filmmusik für das filmische Erzählen mit starken Argumenten versieht. Ansatzpunkt des Autors ist nicht die häufig gestellte Frage, welche Funktion die Musik für die Rezeption der visuellen Informationen hat, sondern vielmehr das Problem, ,woher‘ die Musik im Film stammt, welcher ,räumliche‘ Ort ihr im Kontext des Filmerzählens zukommt. Ausgehend von den verschachtelten Theorien und Terminologien der filmischen Narration, deren detaillierte Aufarbeitung die – durch viele Beispiele ungemein instruktive und anschauliche – erste Hälfte des Buches ausmacht, folgen in einem zweiten Schritt Untersuchungen zu ausgewählten Filmgenres (Hollywood Musicals, Horrorfilme) und längere Untersuchungen zu einzelnen Filmen wie Once upon a Time in America, Breakfast at Tiffany’s und – als besonders gelungen hervorzuheben – Truman Show.
Der Autor greift dabei zurück auf die ältere Differenzierung zwischen Musik, die in der Filmhandlung ihren Ursprung hat („diegetic music“), und derjenigen, die gleichsam von ,außen‘ zur filmischen Erzählung hinzutritt („nondiegetic music“), entwickelt aber dieses häufig nur sehr primitiv angewandte Schema weiter und verknüpft es mit den avancierten Erzähltheorien des Films. Wie die Anwendung dieser beiden musikalischen ,Raumfunktionen‘ das filmische Erzählen unterstützt, erweitert und teilweise erst ermöglicht, gehört zu dem Spannendsten, das in den letzten Jahren über Filmmusik (und Film) geschrieben wurde. Die Analysen – etwa zu Lars von Triers Dancer in the Dark – beschränken sich dabei nicht nur auf den konkreten Film und seine Musik, sondern zeigen auch die durch die subtile Positionierung von Filmmusik ermöglichten intertextuellen Bezüge in einzelnen Genres und selbst zwischen Filmen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein haben.
Diese Studie, der eine deutsche Übersetzung für die Verbreitung auch außerhalb des akademischen Leserkreises sehr zu wünschen ist, lässt sich ohne Übertreibung als ein Meilenstein der Filmmusikforschung bezeichnen; die Auseinandersetzung mit den Argumenten und Analysen des Autors verhilft zu einem neuen, geschärften Blick auf die Komplexität des Zusammenwirkens von Musik und Bild im filmischen Erzählen. Nach der Lektüre sehen selbst vertraute Filme nicht nur anders aus, sie hören sich auch viel spannender an.
Markus Bandur
Berlin, 07.08.2014