Schmid, Manfred Hermann: Mozarts Opern. Ein musikalischer Werkführer. – München: C.H. Beck, 2009. – 128 S. (C.H. Beck Wissen)
ISBN 978-2-406-58261-5 : € 7,90 (kart.)
Dieses kleine gehaltvolle Buch gehört in jede Musikbibliothek, gleich welcher Größe oder welchen Charakters, denn hier gibt es für jede denkbare Art von Leser, vom Opernliebhaber über den Opernkenner bis zum Opern- oder Mozartspezialisten, etwas zu entdecken. Für den Laien oder Dilettanten, jeden, der nicht berufsmäßig mit Musik beschäftigt ist, hätte man sich manche Worterklärung in einem kleinen Glossar oder an Ort und Stelle im Text gewünscht, denn der Autor ist in der italienischen Libretto- und Opernterminologie äußerst bewandert, setzt die Kenntnis vieler Begriffe einfach voraus und operiert mit ihnen. In diesem Buch ist nicht nur viel historisches Wissen, das man für ein verständiges Hören und Sehen der Opern Mozarts benötigt, komprimiert versammelt, der Autor lässt auch die richtigen Quellen (z. B. die wichtigsten brieflichen und mündlichen Äußerungen Mozarts zur Operndramaturgie) sprechen und setzt in der Darstellung durchaus eigene Akzente.
Sehr klar ist in diesem Band, der nur die sieben letzten Opern Mozarts näher bespricht, aber dennoch seinen Untertitel zu Recht trägt, das Changieren Mozarts zwischen den italienischen, französischen und deutschen Operntraditionen beschrieben, mit denen er sich schöpferisch auseinandersetzte. Auf die Gattungskonventionen der ernsten, komischen und der deutschen Oper wird in diesem Buch so viel Wert gelegt, um zu zeigen, wie Mozart mit ihnen umging, ja, wie er sie umging, um neue Formen in den Verhältnissen zwischen Rezitativ, Arie, Ensemble und Chor zu schaffen, die der Handlungslogik und dramatischen Wahrhaftigkeit entsprechen. Weil Schmid Mozart in dessen Selbstverständnis ernst nimmt, kommt er auch zu einer anderen Gewichtung der Opern als üblich; sie wird etwas zugunsten der ernsten und der deutschen Opern verschoben, d.h. die Rolle, die Idomeneo und Titus sowie die Entführung im Opernschaffen Mozarts spielen, wird neu bewertet. In diesen drei Opern befreite sich Mozart am radikalsten von den Gepflogenheiten einerseits der opera seria (das zeigt Schmids instruktiver Vergleich zwischen Mitridate und Idomeneo), andererseits des deutschen Singspiels (das zeigt ein Vergleich zwischen der Entführung und der Zauberflöte) und nähert sich einem diesen drei Opern gemeinsamen neuen Typus von Oper an, der Mozarts Erfindung ist und keinen anderen Namen hat und kennt als den Mozarts, oder nach Mozart: große oder wahre Oper heißen müsste. Das Buch ist mit genauen Beobachtungen an den Partituren und feinem Gehör geschrieben worden, mit einem sachlich gezähmten Enthusiasmus. Es führt in einige Rätsel und lüftet einige Geheimnisse und verschweigt trotzdem noch immer Abgründiges. Gerne hätte man gerade von diesem Autor etwas erfahren über das Verhältnis von Bassa Selim und Konstanze, wie es sich in der Martern-Arie manifestiert.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 353f.