Sommer, Daniela: Der Mythos Don Juan in Oper und Theater des 17. bis 20. Jahrhunderts. – Marburg: Tectum, 2008. – 132 S.: s/w Abb.
ISBN 978-3-8288-9676-5 : € 24,90 (kart.)
Der vorliegende Titel ist das Ergebnis eines Magister-Abschlusses an der Universität Heidelberg. Wie die Autorin gleich zu Beginn bekennt, hat das Thema sie seit dem 2. Semester nicht mehr losgelassen. Diese Begeisterung kann die Rezensentin gut nachvollziehen, erging es ihr doch vor Jahren ähnlich, ausgelöst durch eine aufregende Don Giovanni-Inszenierung von Willy Decker in Aachen.
Für ihre Arbeit hat Daniela Sommer aus der ungeheuren Vielzahl an literarischen Versionen des Don Juan-Stoffes die fünf wohl bedeutendsten dramatischen Bearbeitungen (Tirso de Molina, Molière, Mozart-Da Ponte, Grabbe, Frisch) ausgewählt, um an deren Beispiel die Veränderungen des Mythos im Laufe der Zeit aufzuzeigen. Warum sie zunächst ein ganzes Kapitel den verschiedenen Mythos-Konzepten widmet, erschließt sich allerdings nicht, denn deren Kenntnis ist zum weiteren Verständnis nicht unbedingt notwendig. Um die Sichtweise der jeweiligen Epoche und ihrer Verfasser auf die Don Juan-Figur zu belegen, zitiert und analysiert die Autorin im Folgenden ausgewählte Textpassagen aus den oben genannten Dramen. Im Focus stehen die Frauen, die betrogenen Männer, die Schlüsselfiguren Diener und Statue und die Bedeutung des Himmels als unabdingbare Konstanten des Mythos. Erst in der Bearbeitung durch Max Frisch, in der Don Juan vor den Frauen fliehen will und deshalb seine eigene Höllenfahrt inszeniert, wird die Struktur des traditionellen Mythos gebrochen. Nach Meinung der Autorin handelt es sich hierbei jedoch weniger um das Ende des Mythos, wie die Bonner Literaturprofessorin Hiltrud Gnüg in ihrer grundlegenden Untersuchung (Don Juans theatralische Existenz, München 1974) resümierte, sondern eher um eine Dekonstruktion nach der Literaturtheorie Jacques Derridas.
Ob Ende des Mythos oder Dekonstruktion (eine für den Laien eher müßige Frage), die Analysen im vorliegenden Buch sind nicht sehr überzeugend. Ganz und gar unzulässig aber ist die Deutung der Don Juan-Figur in Mozarts Oper auf der alleinigen Grundlage des Textes von Da Ponte ohne Berücksichtigung der Musik, wie die Autorin selbst zugibt. Damit verkennt sie die Funktion eines Librettos und begeht denselben Fehler wie viele Regisseure: Don Giovanni wird als Triebtäter interpretiert, der seine Ziele nur mit Gewalt erreicht; Ausstrahlung und Verführungskraft werden ihm abgesprochen. Dass Mozarts Musik eine andere Sprache spricht, wird nicht zur Kenntnis genommen, weil es nicht in das Konzept passt. Fazit: Wer sich einen wirklich fundierten Überblick über die Geschichte Don Juans auf dem Theater verschaffen will, ist mit den Schriften der Expertin Gnüg und dem Band Don Juan – Darstellung und Deutung aus der Reihe „Wege der Forschung“ (hrsg. von Brigitte Wittmann, Darmstadt 1976) nach wie vor am besten bedient.
Verena Funtenberger
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 363f.