Lexikon der Kirchenmusik / Hrsg. von Günther Massenkeil und Michael Zywietz unter Mitarb. von Nils Giebelhausen [u.a.] – Laaber: Laaber, 2013. – Band I: A – L, 759 S.: s/w-Abb., Notenbsp.; Band II: M – Z, 1.429 S.: s/w-Abb., Notenbsp. (Enzyklopädie der Kirchenmusik ; 6/1 u. 6/2)
ISBN 978-3-89007-775-8 u. 978-3-89007-776-5 : € 278,00 (geb.)
Mit diesem zweibändigen Lexikon der Kirchenmusik hat die Enzyklopädie der Kirchenmusik einen gewichtigen Zuwachs bekommen. Nach den Veröffentlichungen Zentren der Kirchenmusik (1 Band) und der Geschichte der Kirchenmusik (4 Bände, von denen drei bereits erschienen sind) wird nun ein substantielles Nachschlagewerk präsentiert. Im Vorwort zum ersten Band gibt der Herausgeber Günther Massenkeil gleich im ersten Satz zu bedenken: „Niemand wird von den Herausgebern eines Lexikons der Kirchenmusik erwarten, dass sie grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines derartigen Vorhabens hegen. Ansonsten hätten sie gut daran getan, dieses Projekt in andere, zuständigere Hände zu übergeben.“ In welche Hände es dann auch immer gekommen wäre, die hier tätigen hatten solche Zweifel zum Glück nicht! Denn auch in unserer säkularisierten Welt besteht durchaus das Bedürfnis, Genaueres über Kirchenmusik zu erfahren. Gemeint ist nicht nur katholische und protestantische Kirchenmusik, sondern auch orthodoxe, anglikanische, interkonfessionelle, kurz: Kirchenmusik im ökumenischen Verständnis. 176 Autoren, Musikwissenschaftler, Kirchenmusiker und Kirchenhistoriker, haben diese Aufgabe gewissenhaft und sachkundig übernommen. Die Artikel beziehen sich auf Personen, Orte und Institutionen, auf musiktheoretische, ideen- und religionsgeschichtliche Sachverhalte, auf Gattungen der Kirchenmusik, kirchenmusikalisch bedeutsame Ereignisse und auf Instrumente (zum Teil mit Abbildungen), die in der Kirchenmusik eine besondere Rolle spielen.
In den Personen-Artikeln, die sich Isidor von Sevilla (um 560 bis 636) genauso widmen wie dem Dreigestirn Bach-Händel-Telemann oder Arvo Pärt (geb. 1935), werden biographisch relevante Stationen dokumentiert und das Œuvre erläutert, gibt es (nicht immer) einen Hinweis, wo die Werke verlegt bzw. welche Ausgaben wo erschienen sind, informiert ein Verzeichnis über weiterführende Literatur. „Ohne Zweifel“, schreibt Günther Massenkeil im Vorwort, „wäre noch eine große Zahl an weiteren Einträgen wünschenswert gewesen, darunter auch zahlreiche Komponisten.“ Wie wahr! Vermisst werden z. B. Artikel zu Johann Christian Bach, zu Lili Boulanger, Luigi Boccherini, Bernhard Klein, Adolph Bernhard Marx (auch im Artikel „Oratorium“ fehlt sein Name, obwohl er mit seinem Mose Oratoriumsgeschichte geschrieben hat), Francis Poulenc usw. Dagegen sind manche der hier veröffentlichten Personen-Artikel überlang, wie z. Bsp. der Beitrag zu Georg Friedrich Händel. Lebens- und Schaffensdaten werden minutiös wiedergegeben. All’ dies kann jedoch aus der vorliegenden Händel-Literatur (z. Bsp. durch Siegried Flesch im Händel-Handbuch Bd. 1, Leipzig 1978) entnommen werden. Hingegen hätte man gern etwas mehr zur Händel-Rezeption erfahren.
Hervorragend ist der Artikel Leipzig. Kurz wird hier sogar über die jüdische Gemeinde vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und über die aktuelle Situation der wieder bestehenden Gemeinde informiert. Einen Artikel Erfurt dagegen sucht man vergeblich, obwohl die Stadt es alleine schon wegen ihrer Verdienste um die Gesangbuchgeschichte verdient hätte. Sehr interessant und glänzend geschrieben ist der Beitrag Musik in der Bibel. Dagegen verstimmen in etlichen Artikeln stilistische Ungeschicklichkeiten wie z. Bsp. bei Heinichen, Johann David, wo von einer „Ordnung und eine[r] Grundlage der Überblickbarkeit“ gesprochen wird, um die sich ein Autor „große Verdienste erworben“ (S. 521) habe. Ein kritischer Blick hätte so manchem Beitrag gut getan. So gibt es z. B. keine Brüdergemeinde (S. 417), wohl aber eine (Böhmische) Brüdergemeine. Im Gesangbuch-Artikel ist von den „Liedern P. Gerhardts“ (S. 418) die Rede, gemeint sind offenbar die von J. Crüger vertonten Texte P. Gerhardts. Und auf ein „Toleranzedikt“ (S. 413) hat sich P. Gerhardt nicht vereidigen lassen, sondern er war ein Gegner der vom Großen Kurfürsten angestrebten evangelischen Union. Dennoch: Wer kurz etwas über die Kirchenmusik im umfassenden Sinn erfahren will, ist mit diesem Lexikon bestens bedient.
Ingeborg Allihn
Berlin, 03.09.2013