Zentren der Kirchenmusik / Hrsg. von Matthias Schneider und Beate Bugenhagen. – Laaber: Laaber, 2011. – 429 S.: 64 s/w-Abb., 45 Notenbsp., Tab.. (Enzyklopädie der Kirchenmusik ; 2).
ISBN 978-3-89007-692-8 : € 128,00 (geb.)
„Geschichte ereignet sich stets im Konkreten“, lautet der erste Satz im Vorwort der beiden Herausgeber. Damit ist der konzeptionelle Grundgedanke dieses 2. Bandes der Enzyklopädie der Kirchenmusik umrissen. Konkret waren und sind für die Kirchenmusik und ihre Schöpfer nicht nur die jeweils vorhandenen regionalen Bedingungen, sondern auch die amtlichen, beruflichen und institutionellen Strukturen, sind die Räume, in denen musiziert wird, und nicht zuletzt die historischen und theologischen Voraussetzungen.
Bereits auf dem Umschlag wird mit den farbigen Abbildungen vom Dom St. Peter in Rom, vom Innenraum der Westminster Abbey in London, von der Kathedrale Notre Dame in Paris und von einem Faksimile der Handschrift Johann Sebastian Bachs auf geographisch und kirchenmusikalisch gewichtige Zentren – Bach steht für Leipzig und 800 Jahre Thomana – verwiesen. Außer der Kirchenliedtradition in Pennsylvania, der neuen Heimat europäischer Auswanderer seit dem 18. Jahrhundert, werden 23 europäische Zentren der Kirchenmusik vorgestellt: von St. Gallen bis Prag, Innsbruck und Riga, von Straßburg bis München, Venedig und Amsterdam, von Lübeck und Dresden bis Danzig, Wien und Berlin, von Regensburg bis Stuttgart, Köln und Halberstadt. Vorangestellt sind allen Beiträgen Heinrich W. Schwabs Überlegungen zum dynamischen Zusammenspiel von „Zentrum und Peripherie“.
Ferner gibt es drei kurze Betrachtungen: zur „unangefochtenen Autorität“ Gregor des Großen; zur Messe, von der gefragt wird, ob sie „eine zentrale Gattung der Kirchenmusik“ sei; zu Johann Sebastian Bach. Die vier Hauptkapitel sind mehr oder weniger chronologisch angeordnet: vom einstimmigen Gesang im mittelalterlichen St. Gallen bis zur Musik von Notre Dame um 1200; von der musikalischen Tradition der Hussiten im 15. Jahrhundert bis zur „Römischen Schule“ im 18. Jahrhundert; von Amsterdam mit Sweelinck im 16. Jahrhundert bis zu Wien im 17. und 18. Jahrhundert; von Berlin im 19. Jahrhundert bis zu Halberstadt und dem John-Cage-Orgelprojekt ORGAN²7ASLSP im 21. Jahrhundert.
Die meisten der 28 AutorInnen (Musikwissenschaftler, Theologen, Liturgiker, Organisten, Hymnologen, Kirchenmusiker und Bibliothekare) geben einen kurzen Abriss der jeweiligen Stadtgeschichte, ehe sie sich der Kirchenmusik in einem bestimmten Zeitraum zuwenden und ihre Ausstrahlung in die Peripherie beschreiben. Andere richten den Fokus auf einen Musiker wie z. B. im Beitrag zu Amsterdam auf den beispielhaften „Organistenmacher“ Jan Pieterzoon Sweelinck und damit auf das 17. Jahrhundert. Mitunter wird, wie z. B. vorbildlich im Beitrag zu Danzig, der Forschungsstand reflektiert. Dass Danzig, das heutige Gdansk, zum Nachdenken über die jüngste Geschichte geradezu herausfordert, macht der Autor nach der sehr lebendigen Darstellung von 800 Jahren Kirchenmusik deutlich: „Die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts ist in der Geschichte untrennbar mit der Stadt Danzig verbunden. Es wäre fahrlässig zu denken, Kirchenmusik sei da zu randständig.“ (S. 238) Es gibt kein Glossar, doch bestimmte Fachtermini (Rotuli, Proömium u.a.) hätten erläutert werden müssen. Denn das Buch wendet sich nicht an FachkollegInnen sondern an den kirchenmusikalisch interessierten Laien! Den meisten Autoren war das erfreulicherweise bewusst. So sind z. B. im Beitrag zur Insel Reichenau nicht nur alle lateinischen Zitate übersetzt, sondern der Autor hat auch Fremdbegriffe allgemeinverständlich erläutert. Ein Vorteil dieser Publikation besteht in der Tatsache: Jedes der 24 Porträts kann separat studiert werden. Neben einem Abkürzungsverzeichnis enthält der Anhang ein Literatur- und Abbildungsverzeichnis, ein Personen- und ein Ortsregister sowie Kurzbiographien der Autoren.
Ingeborg Allihn
Berlin, 25.07.2012