Gustav Mahler. Interpretationen seiner Werke / Hrsg. von Peter Revers und Oliver Korte. 2 Bde. – Laaber: Laaber, 2011. – 497 + 520 S.: s/w-Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-89007-045-2 : € 178,00 (geb.)
Die anlässlich von Gustav Mahlers 100. Todestag von Peter Revers und Oliver Korte herausgegebenen 2-bändigen Mahler-Interpretationen ergänzen die verdienstvolle Reihe von Kompendien zum Schaffen von Beethoven, Schumann, Mendelssohn Bartholdy und Schönberg im Laaber-Verlag. Ein namhaftes, in der Mahlerforschung ausgewiesenes Autorenteam aus der deutschsprachigen Musikwissenschaft bietet ausführliche und anschauliche Werkbesprechungen von den unvollendeten Jugendwerken bis zum Spätwerk dieses wichtigen Komponisten am Schnittpunkt von Spätromantik und Moderne. Vier eingestreute Exkurse verbinden sich zusammen mit einer Darstellung von Mahlers zahlreichen Bearbeitungen und Retuschen an Werken anderer Komponisten im Rahmen seiner Dirigiertätigkeit zu einem umfassenden Gesamtbild Mahlers.
emäß dem Konzept der Reihe stehen im Zentrum umfassende Werkmonographien zu allen Symphonien, Liedersammlungen, Jugendwerken und Bearbeitungen. Biographische Aspekte werden einbezogen, soweit sie für das Verständnis der Werke relevant sind. Zur Vernetzung tragen die vier werkübergreifenden Essays bei. Es macht den Reiz der Werkbesprechungen aus, dass jenseits der grundsätzlichen Zweiteilung jeweils in Werkgeschichte und detaillierter Betrachtung unterschiedliche wissenschaftliche Strategien zur Anwendung kommen und damit das Spektrum der aktuellen Mahlerforschung zur Geltung bringen: Da kann es um kompositions- und gattungsgeschichtliche Einflüsse und Rezeptionsgeschichte, um leitmotivische und tonartensymbolische Aspekte oder um Topoi der Figurenlehre gehen, so beim frühen Klavierquartettsatz a-Moll, beim Klagenden Lied und der Ersten Sinfonie, den Rückert- und Gesellen-Liedern; oder um literarische Vorlagen wie im Fall der Zweiten Sinfonie oder des Lieds von der Erde; um aufführungspraktische Aspekte wie im Fall der Wunderhorn-Lieder; oder um die Frage nach Erzählstruktur und Dramaturgie aus „narratologischer“ Sicht im Fall der Sinfonien 3–5, um motivisch-thematische Arbeit und Variantentechnik sowie den Umgang mit historischen Satzmodellen. Die Frage der Reihenfolge der beiden Mittelsätze der Sechsten Sinfonie ist nicht weniger interessant als die Sichtung der verschiedenen Aufführungsfassungen der Zehnten Sinfonie.
Treffende kurze Notenbeispiele mit oft sehr instruktiven Gegenüberstellungen, gut kommentierte Faksimiles von Autographen, Belege und weiterführende Literaturangaben in den Fußnoten erhöhen die Verwendbarkeit für interessierte Laien wie Fachpublikum.
Zum Einstieg laden besonders ein etwa der Beitrag über die Wunderhorn-Lieder, der eine hilfreiche inhaltlich-stilistische Gruppierung präsentiert, oder die farbige Darstellung der triumphalen Uraufführung der Achten Symphonie 1910 in München, die für Thomas Mann den „ernstesten und heiligsten künstlerischen Willen unserer Zeit verkörpert“ (Bd. 2, S. 147–153), aber auch die frühe Rezeptionsgeschichte des Lieds von der Erde (Bd. 2, S. 271–293). Informative Überblicke bieten Exkurs 1 „Zum Verhältnis von Lied und Sinfonie“, Exkurs 2 „Zur Relevanz der ‚Programme‘ in Mahler Symphonien“ sowie Exkurs 4 „Mahler und das Publikum – Zur frühen Rezeption der Symphonien 5–7“ (Eher spezieller angelegt ist Exkurs 3 „Orchesterbesetzungen und Instrumentation“.)
Um die Besonderheit von Mahlers symphonischen Werken angemessen zu analysieren, gab es seit den 1930-er Jahren Versuche, Mahlers „Romansymphonik“ als Erzählung zu begreifen – ein für den Hörer wichtiger Zugang. Einen fundierten Überblick eröffnet der Abschnitt „Der narratologische Blick“ (Bd. 2, S. 4–10). Lohnende Anwendungen bieten etwa zum ersten Satz der 4. Sinfonie unter dem Stichwort „Musikalische Schlittenfahrt“ jüngere symbolische Deutungen der scheinbaren Naivität der Schemata der absoluten Formen (Bd. 1, S. 378ff) sowie die Diskussion des Verhältnisses von musikalischer Topik und Narrativität am Beispiel der 9. Sinfonie (Bd. 2, S. 328ff). (Es lohnte sich, auch die im langsamen Satz der 6. Sinfonie und im ersten Satz der 9. Sinfonie beobachteten Dialoge musikalischer Gegensätze in spiralartiger Verdichtung aus dieser narratologischen Perspektive zu interpretieren.)
Aufschlussreich ist zu Beschluss des Abschnittes „Über Mahlers schöpferische Aktivitäten im Konzertsaal“ eine Zusammenstellung seines Konzert- und Opernrepertoires als Dirigent (Bd. 2, S. 483f). Der Anhang bietet thematisch gegliederte Literaturhinweise, ein Personenregister und ein nicht nur auf Mahlers Werke beschränktes Werkregister.
Insgesamt richten sich die beiden Bände an den Mahler-begeisterten Laien genauso wie an den Experten. Sie eignen sich gleichermaßen als informatives Lesebuch wie als Nachschlagewerk.
Hartmut Möller
Rostock, 22.07.2012