Förster, Evelin: Die Frau im Dunkeln. Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901 bis 1935. Eine Kulturgeschichte / Mit Textbeiträgen von Anja Köhler und Jörg Engelhardt. – Berlin: Edition Braus, 2013. – Zahlr. Ill., 416 S.
ISBN 978-3-86228-057-5 : 34,95 € (geb.)
Um es gleich vorweg zu sagen: Mir ist noch selten ein in Konzeption, Aufbau, Ausstattung, Informationsdichte und –wert derart gelungenes Buch begegnet, das sich als Nachschlagewerk wie als Lesebuch gleichermaßen eignet.
Vielleicht ist dieser multiperspektivische, wissenschaftliche und zugleich pragmatische Zugriff auf das Thema in der Vita der Autorin begründet: als ausgebildete Balletttänzerin, Schauspielerin und Chansonnière sowie Frauen- und Exilforscherin mit dem Schwerpunkt auf den ersten 35 Jahren des 20. Jahrhunderts verfügt Evelin Förster immer über mehrere Sichtweisen, nämlich die der Interpretin, der Rezipientin und der Historikerin. Wollte man die Lebensläufe der allermeisten hier vorgestellten Frauen auf einen Nenner bringen, mit der Aussage „Heute hier, morgen dort“ (in Anlehnung an Hannes Wader als modernem Vertreter einer verwandten Profession), läge man genau richtig. Emmy Hennings, Kabarettistin und Ehefrau des Dadaisten Hugo Ball hat es jedenfalls genauso formuliert „Ach heute bin ich noch hier, und morgen werde ich schon dort sein – wie überall und nirgends…“ (S. 110). Für den Titel des Buches stand die gleichnamige Operette des Komponisten Siegfried Schulz Pate, zu der die Kabarettistin Eddy Beuth (ebenfalls im Buch vorgestellt) die Texte beigesteuert hat.
Die Autorin stellt insgesamt 19 Frauenleben in den zeitgeschichtlichen Kontext, darunter so bekannte wie das von Erika Mann, Else Lasker-Schüler oder Claire Waldoff. Die allermeisten Namen sind uns jedoch heute nicht mehr so geläufig, gleichwohl waren die betreffenden Künstlerinnen durchaus Zelebritäten in ihrer Zeit und vielfältig vernetzt: zunächst untereinander, aber auch mit Schriftstellern wie Christian Morgenstern, Kurt Tucholsky oder Erich Kästner, mit Komponisten wie Oscar Straus oder Walter Kollo, Malern wie Heinrich Zille und Christian Schad oder Regisseuren wie Max Reinhardt. Allen Frauen gemeinsam sind sicher der unbedingte Wille zum Aufbegehren gegen überkommene Rollenvorstellungen und der damit verbundene Ausbruch aus dem gesellschaftlichen Korsett, das klugen, talentierten Frauen die intellektuelle und künstlerische Entfaltung verwehrte. Oft waren diese Frauen mehrfach begabt: als Schriftstellerinnen, Komponistinnen, Tänzerinnen und Musikerinnen (so trat Käthe Hyan immer mit der Gitarre auf und Elsa Laura von Wolzogen verstand sich als „Konzertsängerin zur Laute“). Heute ist der Begriff „singer-songwriter“ positiv konnotiert, damals haben sich die Frauen in ihrem Akt der Selbstverwirklichung oft aus der gesellschaftlichen Akzeptanz herauskatapultiert und eine ein Art Umlaufbahn geschossen, wo Status und Ansehen gerade Unterhaltungskünstlerinnen noch verweigert wurde. Die Ambivalenz ihrer Existenzen zeigt sich daran, dass zwar die Zeit reif war für Kabarett und Varieté – sie schossen in Berlin, München, Düsseldorf oder Zürich wie Pilze aus dem Boden und Satiremagazine boomten – , der Bedarf an Künstlern war enorm, gleichzeitig war es aber gerade für Frauen schwer, in diesem Metier so Fuß zu fassen, dass ein gesichertes Auskommen möglich war. Bei aller Bewunderung und Verehrung umwehte sie der Hauch der Halbwelt und nicht wenige zerbrachen an der Diskrepanz zwischen künstlerischen Anspruch und dem Zwang zum wirtschaftlichen Überleben. Das Naziregime legte allen Kabarettisten den Maulkorb an, Frauenrechte wurden stark beschnitten und die künstlerische Vielfalt, die sich bis 1933 entwickeln konnte wurde gleichgeschaltet, als Schund diffamiert und verboten. Signifikant ist, dass keine der Frauen nach 1945 an alte Erfolge anknüpfen konnte. Manche mussten, weil jüdisch stämmig, untertauchen oder emigrieren (Erika Mann, Else Lasker-Schüler), manche wählten den Freitod (Senta Söneland, Eddy Beuth) oder hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Evelin Förster, die bereits 2009 eine Chanson-Text-Collage unter demselben Titel als Hörbuch veröffentlichte, hat mit Akribie, schier unstillbarem Forscherdrang und Empathie diese Schicksale dem Vergessen entrissen und damit gleichzeitig eine kulturgeschichtliche Meisterleistung erbracht. Im zweiten Teil des Buches befinden sich die Werkverzeichnisse der Künstlerinnen, ein annotiertes Register der Spielstätten und Künstlertreffs, eine Kulturgeschichte der Zeitschriften, Kurzbiographien aus dem zeitgeschichtlichen Umfeld, ein Glossar sowie eine Bibliographie. Unbedingt zu empfehlen!
Claudia Niebel
Stuttgart, 26.03.2013