Quissek, Heike: Das deutschsprachige Operettenlibretto – Stuttgart[u.a.]: J. B. Metzler, 2012.- 340 S.
ISBN 978-3-476-02481-7 : € 59,95 (geb.)
Quisseks Buch, auch als Dissertation an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg vorgelegt, ist das in jahrelanger Arbeit entstandene Werk einer Praktikerin. Die Autorin selbst beschreibt ihr freiberufliches Arbeitsfeld als Regisseurin und Dramaturgin, mit dem Schwerpunkt musikalisches Lachtheater. Gleichzeitig ist sie Literaturwissenschaftlerin, was über die Jahre den Entschluss reifen ließ, eine bisher so nicht existierende wissenschaftliche Untersuchung des Operettenlibrettos zu erarbeiten. Quissek nahm eine repräsentative Auswahl von etwa 80 populären Werken des 19. und 20. Jahrhunderts vor, anhand derer sie die Systematik ihrer Arbeit entwickelt.
Die Autorin betritt damit weitgehend Neuland, speziell der literaturwissenschaftliche Aspekt der Operettenforschung war bisher wohl eher nur in Einzeldarstellungen berücksichtigt, im Gegensatz zu musikwissenschaftlichen Untersuchungen. Quissek untersucht akribisch die poetologischen Grundlagen deutschsprachiger Operettenlibretti, wie Textgestalt, Spielstruktur, Collagecharakter. Den größten Teil der Arbeit nimmt die Untersuchung der formal-dramaturgischen Struktur ein, ausführlich wird über dreiaktiges Schema, Handlungsstränge und den unterschiedlichen Charakter der Musiknummern referiert, ein ausführliches Kapitel widmet sich der Typisierung der Operettenfiguren, den Schauplätzen und den inhaltlichen Konstanten, wie Erotik und Sex, freie Liebe, und antibürgerliches Ehe- und Familienkonzept, Geld. Eine Auflistung der verschiedenen Operettenformen schließt sich an: Possen-Operette, burleske Travestie-Operette, Wiener Operette, in der sogenannten modernen Wirkungsphase die Revue-Operette, die Bühnen-Operette Erik Charells, Kammeroperette, Internationale Gesellschaftsoperette, verwienerte Gesellschaftsoperette, rührselige Operette der Moral.
Quissek untersucht auch ausführlich die „Operette unter dem Hakenkreuz“. Ein nicht unwesentlicher Teil der erfolgreichen Operettenkomponisten und Librettisten war jüdisch oder aus anderen Gründen den Nationalsozialisten nicht genehm. Das Schicksal der Betroffenen wurde gut recherchiert und wird ausführlich dokumentiert.
Hatte die Operette in den 1930/1940er Jahren durch die Filmkunst noch einen wahren Boom erlebt, so nahmen in der Nachkriegszeit die Aufführungszahlen permanent ab. Im beginnenden 21. Jahrhundert scheint die Operette bis auf die klassischen Werke von Strauß, Lehar, vielleicht noch Kalman und Paul Lincke, vom durch das von audiovisuellen Effekten dominierte Musical verdrängt zu werden. Ein Grund dafür dürfte sicher auch die mangelnde Eignung der einschlägigen Stoffe für das moderne, so genannte Regietheater sein.
Zweifellos verdient Quisseks Arbeit Respekt, ist sie doch mit Sicherheit die bisher umfangreichste Untersuchung zu diesem Thema und wird wohl zum Standardwerk dieses Genres avancieren.
Peter Sommeregger
Berlin, 12.03.2013