Felix Mendelssohn Bartholdy: Schweizer Skizzenbuch 1842 / Hrsg. von Hans-Günter Klein. Faksimile – Wiesbaden: Reichert, 2008. – 53 S.: 21 Abb.
ISBN 978-3-89500-483-4 : € 49,00 (geb.)
Mit Musik hatte die dritte der vier Reisen Mendelssohns in die Schweiz nur durch ihren äußeren Anlaß, eine Einladung zum Lausanner Musikfest im August 1842, zu tun. Er hätte sie aber auch ohne diese Einladung, bei der Aufführung seiner Sinfonie-Kantate Lobgesang anwesend zu sein, unternommen. Und so war diese Reise eine rein familiäre Angelegenheit, die eher dazu gedacht war, die Erinnerungen an die erhabenen Natureindrücke der vergangenen Reisen von 1822 und 1831 aufzufrischen, neue Eindrücke zu sammeln und sie mit seiner Frau Cécile und seinem Bruder Paul (dem Bankier und Cellospieler) und dessen Frau Albertine zu teilen. Seine quasi religiösen Empfindungen angesichts der Schweizer Bergwelt hatte Mendelssohn früher auch in Musik transponiert, nicht nur direkt durch das berühmte Zitat eines Bergliedes in der elften Streichersinfonie, sondern durch die gesamte Atmosphäre der 9. und 11. Streichersinfonie, die er als Dreizehnjähriger komponiert hatte. Man fühlt sich an Hegels Ausspruch angesichts des Berner Oberlandes erinnert: „Hier spricht die Natur ihr unerbittliches: So muß es sein!“ Für Mendelssohn wurde die Schweizer Bergwelt zum Inbegriff seiner Idee von der „unermeßlichen Schönheit“ von Gottes Natur.
Das hier faksimiliert wiedergegebene, in Berlin lagernde Skizzenbuch mit zwanzig Abbildungen zeigt Mendelssohn als Zeichner, der mit diesem (und einem weiteren in Oxford lagernden, noch unveröffentlichten) Heft eine Art bildhaftes Tagebuch dieser Reise durch die romanische und alemannische Schweiz hinterließ, in dem er Porträts einzelner Berge, Bergketten, Gebäude und Bäume, z.B. des geliebten Nußbaums in Interlaken, anfertigte. Der Herausgeber Hans-Günter Klein, der alle diese Orte heute wieder besucht hat, weist in seinem Vorwort darauf hin, daß Mendelssohn zeichnerisch eine erst später durch die photographische Technik der Weitwinkelperspektive mögliche Zusammenraffung von Bildansichten realisierte, durch die mehr auf einer Zeichnung festgehalten ist, als ein statischer Blick erfassen kann. Diese privaten Erinnerungsstücke Mendelssohns, die Klein durch Zitate aus gleichzeitigen Briefen ergänzt, geben ein authentisches Bild der Mendelssohnschen Naturauffassung und bilden eine Folie für seine von Landschaften mitgeprägte Lebensauffassung, die sich auch indirekt in seiner Musik niederschlug. Auch wenn dieses Skizzenbuch unmittelbar mit Musik nicht zu tun hat (sie scheint während dieser Reise für Mendelssohn gar keine Rolle gespielt zu haben), so bietet es doch eine Art Hintergrund zum Verständnis auch seiner Musik.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 138