Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 5: Juli 1836 bis Januar 1838 / Hrsg. und kommentiert von Uta Wald unter Mitarbeit von Thomas Kauba – Kassel: Bärenreiter 2012. – 832 S.: Abb., Notenbsp. (Sämtliche Briefe ; 5)
ISBN 978-3-7618-2305-7 : € 149,00 (geb.)
Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 6: Februar 1838 bis September 1839 / Hrsg. und kommentiert von Kadja Grönke und Alexander Staub – Kassel: Bärenreiter 2012. –798 S.: Abb., Notenbsp. (Sämtliche Briefe ; 6)
ISBN 978-3-7618-2306-4 : € 149,00 (geb.)
Leicht war es, im Vorfeld des Mendelssohn-Jahres 2009, als der erste Band seiner sämtlichen Briefe erschienen war (s. die Besprechung des Rez.), ins Schwärmen zu geraten, dass und was dieser sprachbegabte Musiker alles für Briefe geschrieben hat, die er als literarische Gattung beherrscht und als kulturgeschichtliche Dokumente uns überliefert hätte. Nun aber, nachdem tatsächlich ca. ein bis zwei Bände pro Jahr von dieser kritischen Gesamtausgabe erschienen sind und wohl auch weiter erscheinen werden, heisst es: weiterlesen, meine Damen und Herren! Besonders im Wagner-Jahr 2013, wo sich alles weitgehend unkritisch und wieder einmal schwärmerisch mit dem Halbgott von Bayreuth beschäftigt, als wäre dessen Kunstreligion und moralisierende Mythenbearbeitung ernst- und einfach so hinzunehmen. Mit Mendelssohns Briefen könnte man einen anderen Künstlertypus des 19. Jahrhunderts kennenlernen, sozusagen einen Zivilisten unter den vielen Kriegern für höhere Werte, Predigern, Priestern und Propheten. Dass Mendelssohn sich im Gegensatz zu Schumann und Wagner fast bis in seine Briefe hinein weigerte, über Musik im allgemeinen und seine eigene im besonderen programmatisch zu sprechen und von Zeitgenossen gewünschte Erläuterungen abzugeben, ist angesichts der Musik seiner Kollegen, die eifrig überreden, überzeugen und überwältigen wollten und angesichts deren zusätzlicher Wortschwalle in hunderten von propagandistischen Schriften, schon erstaunlich und beachtenswert.
Das liegt an der von Mendelssohn bevorzugten Bestimmtheit seiner musikalischen Gedanken und deren im Hören nachvollziehbaren charaktervollen Eingendynamik, die ohne Nachdruck und erläuternde Beigaben auskommen kann. Von seinen komponierenden Zeitgenossen, deren Werke er als Leipziger Kapellmeister des Gewandhauses (in diese Periode fallen die beiden Ende 2012 erschienenen Bände 5 und 6) aufzuführen hatte, auch wenn er selber und das Publikum sich innerlich dagegen sträubten, glaubte er, dass „das verfluchte künstlerische Bewusstsein, das sie allesamt haben, und der infame göttliche Funke, von dem sie oft lesen, (alles) verderben“ (Bd. 5, S.167f.). Durch überspanntes künstlerisches Sonderbewusstsein und verstiegene Inspirationstheorien verdorbene Musik hatte er en masse um sich herum, und er versuchte diesem Fluch des damaligen Zeitgeistes, der sich auch noch romantisch dünkte, zu entkommen.
Die interessantesten Passagen in diesen Briefbänden, jene, wo er dann doch ein bisschen über Musik fachsimpelt, wenn er sich nicht gerade um die sozialen Belange seiner Musiker kümmert, sind die an seine Freunde Ferdinand Hiller und Gustav Droysen gerichteten. Was beispielweise das Musikalische einer Textvorlage für ein Konzertstück mit Gesang ausmachen würde? „Die Worte könnten ebenso frei wie ungleichmäßig behandelt sein, nur müssten die Musikstücke immer auf der Spitze der Situation eintreten (außer dem Recitativ), und also müßten viel solcher Spitzen da sein. Das scheint mir das ‘Musikalische‘ eines Stoffes zu sein, daß er lieber viel oder ein ununterbrochene Reihe solcher Spitzen von Situationen enthält, auf denen die Musik fußen kann“ (Bd. 5, S. 478). Darüber lohnte es sich einmal nachzudenken, am besten als Gegengift mitten in der quälenden Lektüre von Wagners Oper und Drama.
Die Bände sind in gewohnter Sorgfalt ediert, haben instruktive Einleitungen aus der Feder der beiden Gesamtherausgeber (Bd.5: pointiert Helmut Loos, Bd. 6: grandseigneural Wilhelm Seidel), einen von den jeweiligen Bandherausgeber(inne)n erstellten umfangreichen Apparat mit Stellenkommentaren, Registern, Bibliografien und Werkverzeichnissen von Felix Mendelssohn und Fanny Hensel, wobei das von Felix inzwischen (seit dem 2. Band) auf das schrecklich ausdifferenzierte Niveau des offiziellen neuen Werkverzeichnisses gehoben wurde.
Peter Sühring
Berlin, 15.02.2013