Dorothea Schröder: Johann Sebastian Bach [Peter Sühring]

Schröder, Dorothea: Johann Sebastian Bach – München: C. H. Beck, 2012. – 128 S.: 2 Abb. (C. H. Beck Wissen)
ISBN 978-3-406-62227-4 : € 8,95 (kt.; auch als e-Book erhältl.)

Ganz ohne äußeren Anlass, ohne Jahrestag, ohne Ereignisverdacht, nur zur Vervollständigung einer Serie mit Porträts wichtiger Musiker im Rahmen einer zu Recht wohlangesehenen Taschenbuchreihe ist in aller Stille eine Einführung in die nicht gerade unbekannte, vielleicht manchmal etwas überschätzte (ja, das geht!) Größe eines Johann Sebastian Bachs erschienen, die wohltuend sachlich auftritt und entmythologisierend wirken könnte. Schon auf dem Cover schaut uns nicht der sattsam bekannte Thomaskantor entgegen, sondern ein gewisser Köthener Hofkapellmeister gleichen Namens, der mit dem Thomaskantor personell identisch war und den es tatsächlich gegeben hat. Nicht, dass andere Biografien oder Bach-Einführungen das bisher verschwiegen hätten, aber hier kommt es auf die Gewichtungen an. Während alle bisherigen Bach-Biografien teleologisch auf die späteren Leipziger Jahre zulaufen wie auf den Höhepunkt einer Lebensbahn, lässt Schröder immerhin (fast unmerklich, vielleicht sogar ungewollt, aber den Fakten folgend) ahnen, dass das Leben und Wirken Bachs vor Leipzig den eigentlichen Zenit seines Musikschaffens dargestellt hatte und das Thomaskantorat und die städtische Musikdirektion in Leipzig eher eine „dunkle Zeit“ war, in der Bach zwar noch, teils aus Parodien seiner früheren Werke zusammengebastelte, monomanische Spätwerke schuf, die aber eher einem Absturz mit viel Verdruss und einengenden Umständen gleichkam, was nicht ohne lähmende Wirkungen auf seine Produktion blieb. Es werden immer wieder reale Alternativen aufgezeigt, die Bach offenstanden, die er aber nicht ergriff – darüber können wir uns heute mit Emanuel Bachs Erklärungen, hier wäre göttliche Vorsehung im Spiel gewesen, nicht mehr ohne Weiteres zufriedengeben.
In fast Zweidritteln des Bändchens werden die Lehr-, Wander- und Meisterjahre Bachs von 1695 bis 1723 geschildert, die er in Ohrdruf, Lüneburg, Arnstadt, Mühlhausen, Weimar (die Kantaten für die „Himmelsburg“!) und Köthen verbrachte, die norddeutschen Reisen mit eingerechnet. Dass Bach von der Orgel her kam und sein Leben lang dachte, wird hier plastisch vorgestellt, ohne es zu betonen oder bis in die letzten Konsequenzen für seinen gewagten Vokalstil nachzuverfolgen. Aber die nicht nur ephemeren, von Bach begierig aufgegriffenen Berührungen mit der französischen und italienischen Instrumentalmusik, die er vor seinem Leipziger Amte, mit dem er dann die protestantische Kirchenmusik zu „regulieren“ gedachte, schon hatte, brachten einen anderen, neuen, frischen, sich später wieder verflüchtigenden Zug in seine Art zu musizieren und zu komponieren. Gerade dies, Bachs Weltoffenheit, seine Fähigkeit zur unbefangenen Aufnahme auch nichtdeutscher Traditionen und ihre schöpferische Verarbeitung in einem persönlichen und norddeutsch geprägten Stil, ist es, was Schröder unaufgeregt, aber nicht minder eindringlich erzählt und vor Augen führt.
Dieses Bändchen kann und will nicht dazu taugen, in einzelne Werke detailliert einzuführen, es ist aber erfolgreich bemüht, die Gattungs- und Ausdrucksvielfalt Bachscher Musik aufzuzeigen und mit einigen biografischen Legenden aufzuräumen, die sich schon in die ersten Darstellungen seines Lebens und Wirkens, in den Nekrolog seines Sohnes Emanuel, sowie in die Biografie Forkels eingeschlichen hatten. Mondschein- und andere Legenden haben bei Schröder keine Chance, auch die „frembde Jungfer“ auf der Arnstädter Orgelempore kann bei ihr nicht die stadtbekannte Cousine und spätere erste Ehefrau Bachs gewesen sein. Bachs Köthener Concerti grossi, von ihm schlicht aber französisch Concerts avec plusieurs instruments genannt, wurden erst von Spitta Brandenburgische Konzerte getauft, eine bis heute eingebürgerte, falsche Assoziationen weckende Benennung. Dagegen wäre Italienisches Konzert für die Orgel für Bachs Toccata, Adagio und Fuge C-Dur (BWV 564) auch in den Augen Schröders eine passende Bezeichnung.
Alles über Bach auf einer elementaren Stufe Wissenswerte und zu wissen Mögliche ist hier in einer gut lesbaren, durch ein erläuterndes Glossar noch verständlicher gemachten Darstellung versammelt. Die Autorin enthält sich weitgehend hagiographischer Superlative, kann dafür um so besser das eigentliche Originelle an Sebastian Bach, seine Fähigkeit, unterschiedliche Traditionen umzuwandeln und einem subjektiv geprägten, polyphonen Stil einzuverleiben, hervorkehren. Von ihr betonte Neuerungen, die Bach eingeführt hätte, beziehen sich aber eigentlich nur auf das Ausreizen harmonischer Ausweichungen auf der Grundlage der von Bach bis an die Grenzen geführten Möglichkeiten der wohltemperierten Stimmung, streng auf der Basis des von ihm zu einer unerhörten Spätblüte getriebenen Generalbasszeitalters.

Peter Sühring
Berlin, 06.01.2013

 

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